91 Nationen leben in Falkensee: Karim Dawood aus dem Irak
Karim Dawood wurde 1958 in Bagdad geboren. Weder seine Eltern noch seine Hebamme konnten lesen oder schreiben. Deshalb gibt es auch keine Aufzeichnungen über den Tag und den Monat seiner Geburt. Zu der Zeit waren Millionen von Menschen Analphabeten.
Der Vater hat als Wachmann gearbeitet, um seine sehr arme Familie durchzubringen. Karim hat vier ältere Brüder und drei Schwestern. Alle Jungs wurden zur Schule geschickt, die Mädchen nicht. Karim machte Abitur und hätte eigentlich danach zum Militär gemusst, wollte das aber ganz und gar nicht! Aus diesem Grund hat er bei einem technischen Institut angeheuert und Erkundigungen eingezogen: Wo könnte er im Ausland studieren? In Deutschland, Polen, Jugoslawien? Ein Schwager war als politisch Verfolgter nach Deutschland geflohen – und bot Hilfe an. Karims Familie kratzte das nötige Geld zusammen und schickte Karim 1979 nach Deutschland.
Er kam mit dem Flugzeug in Frankfurt/Main an. Mit dem Zug ging es weiter nach Bad Oynhausen. Im Zug saß ihm ein knutschendes Pärchen gegenüber – Karim hatte noch nie Mann und Frau gesehen, die sich öffentlich küssen. Händchen halten, das durften im Irak nur verheiratete Paare. Ansonsten kam in Bagdad sofort die Polizei und hat die Leute verhaftet. Und jetzt saß ihm dieses Pärchen gegenüber! Er konnte nicht hinsehen und wollte schon den vorbeigehenden Polizisten schon ansprechen. Aber ein Freund hatte ihn schon im Vorfeld gewarnt, dass die Sitten in Deutschland doch anders sind. Für Karim war es aber doch ein Schock.
Von Bad Oynhausen ist er nach West-Berlin gegangen, dort gab es eine Gemeinschaft von Irakern, die sich untereinander sehr unterstützt haben. 1987 startete Karim sein Studium der Stadt- und Regionalplanung, ihm gelang der Abschluss als Diplom-Ingenieur.
Zu dieser Zeit lernte er seine spätere Frau Bärbel kennen. Sie hat ihn „gerettet“ – so seine Worte noch heute. Zusammen haben sie zwei Kinder. Die Tochter studiert internationale BWL, der Sohn geht noch zur Schule. 1998 ist die Familie nach Falkensee gezogen. Die Familie fühlt sich hier sehr wohl – sie haben viele Freunde. Karim ist inzwischen ein toller Läufer geworden, er dreht jeden Morgen seine Runden um den See, läuft Marathon und Halbmarathon, alle feuern ihn an der Strecke an.
Was fehlt ihm aus dem Irak? Die Leichtigkeit des Daseins, die Denkweise „Allah wirds schon richten“, die Herzlichkeit, die Elastizität des Lebens und seine Großfamilie. Kommen Karims Geschwister mit ihren Angehörigen zusammen, so sind das schon 75 Leute.
In Deutschland ist immer alles durchgeplant, es gibt einen hohen Druck. Aber Fleiß, Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit kennt Karim in dieser Form nur aus Deutschland, das findet er toll, nur deshalb funktioniert das Leben hier so gut, meint er. Wenn Deutschland jetzt auch noch immer gutes Wetter hätte, dann wäre es hier das Paradies auf Erden!
Karim versteht nicht, warum die Menschen hier immer so unzufrieden sind. Hier gibt es doch keinen Grund zum Jammern. Karim ist deutscher als mancher Deutscher – sagt er von sich selbst.
Karim fehlt allerdings die arabische Sprache. Er ist Deutschland aber sehr dankbar, dass er bleiben durfte. Ansonsten wäre er wahrscheinlich tot, in den letzten 30 Jahren war im Irak drei Mal Krieg!
Zurück zum Anfang: Als Karim nach Deutschland kam, stand in seinem Pass als Geburtsdatum 00.00.
Das gab Schwierigkeiten bei der Kontoeröffnung oder bei einer Fahrt ins Ausland. Vor ein paar Jahren wurde für alle Iraker mit dem Passeintrag „00.00“ ein gemeinsames Geburtsdatum festgelegt: Karim hat jetzt am 1.7. Geburtstag und kann endlich offiziell feiern!
Hinweis: Im FALKENSEE.aktuell-Heft 86 haben wir festgestellt, dass Menschen aus 91 Nationen in Falkensee leben. Nun lassen wir in jedem Heft eine andere Nation zu Wort kommen.
Foto: privat
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