Scheibes Kolumne: Wenn Männer sich mögen
Frauen lügen den ganzen Abend, wenn sie unter ihresgleichen sind. „Was bist du wieder hübsch, meine Süße. Der neue Pullover steht dir ungemein. Wo hast du nur diesen Lippenstift her?“ Während Frauen hervorragend auf der Klaviatur der feingeistigen Komplimente spielen, könnten unvorbereiteten Zuhörern glatt die Ohren bluten, sollten sie Männern zuhören, die sich allein unter ihresgleichen wähnen.
Die begrüßen sich schon einmal nach einem körperlichen Anrempler so: „Mensch, Peter, du alte Pickelbirne. Du wirst aber auch täglich hässlicher. Dass deine Frau dich nicht verlässt, kann nur daran liegen, dass du viel zu viel Geld verdienst.“
Kein Mann ist beleidigt, wenn er auf diese Weise angegangen wird. Es ist der Beginn eines verbalen Schlagabtausches, der allen Beteiligten viel Kreativität abverlangt. Eine mögliche Antwort wäre jetzt: „Micha, du knorpelige Hakennase. Dafür alterst du so schnell, dass wir alle ganz schnell zusammenlegen müssen, um dir einen Platz im Altersheim zu besorgen. Du siehst aus wie Gollum, nachdem man ihn das Wochenende über in einer Brauerei eingeschlossen hat.“
In einer solchen Atmosphäre fühlt sich der Mann wohl und zufrieden. Er entspannt sich, packt die Füße auf den Tisch, lässt sich Alkohol und (immer seltener) Rauchwaren reichen und versucht mitunter, nun aus seinem Alltag zu erzählen. Nur um kurz danach zurechtgestutzt zu werden: „Nun halt doch mal deinen Kauriemen fest. Niemand möchte wissen, was deine erbärmliche Existenz in den vergangenen Stunden erlebt hat. Wir genießen hier die Ruhe. Hol lieber die Pokerkarten raus.“
„Aber ich dachte, ihr seid meine Freunde?“
„Wir sind doch nicht deine Freunde. Deine Mutter bezahlt uns noch immer, damit wir so tun. Und das bereits seit deinen Sandkastenzeiten. Die nebenbei bemerkt erbärmlich lange her sind.“
Schon sehr früh war ich ein genauer Beobachter verbaler Männerkommunikation. In der vierten oder fünften Klasse stand damals ein Aufsatz an: „Mein schönstes Ferienerlebnis“, kein Scherz. Also protokollierte ich akribisch genau unseren Familienurlaub auf Korsika. Hier begleitete uns eine zweite Familie – und bei den männlichen Familienoberhäuptern ging es den ganzen Tag lang um Würfel, Kartenspiele, eiskaltes Bier und zotige Sprüche.
Kurzum: Für meine ersten journalistischen Ausflüge bekam ich doch tatsächlich eine Fünf verpasst. Wegen exorbitanter Verwendung von Schimpfwörtern in meinem Text. Meine arme Mutter musste in die Schule eilen und der entsetzten Lehrerin schwören, dass sich der ganze Urlaub tatsächlich genau so abgespielt hatte, wie ich das in meinem Text beschrieben hatte. Inklusive aller „Du Nappel, du!“ und „Dumme Flitzpiepe“. Ich denk‘ mir doch so etwas nicht aus! Ich weiß allerdings nicht, ob die Lehrerin meine Note damals noch korrigiert hat oder ob ihr Entsetzen einfach zu tief gesessen hat.
Freundliche Männer-Beleidigungen sind auch nichts, was für empfindsame Frauenohren gemacht ist. Frauen erwarten von ihren Männern die verbale Eleganz eines Cyrano de Bergerac, der ihnen virtuelle Rosensträusse aus edlen Wörtern dichtet. Sie mögen es gar nicht gern, wenn sich ihre hochanständigen und seriösen Kerle unter ihresgleichen auf einmal primitiv aufführen wie die Schweine, die sich im Schimpfwörter-Mist suhlen.
Dabei ist es gar nicht so einfach, beim liebevollen Beschimpfen der Freunde die richtige Tonlage zu treffen. Ein guter Freund fühlt sich schließlich erst dann richtig wertgeschätzt, wenn er Beleidigungen mit besonderer Kreativität an den Kopf geworfen bekommt.
Etwa: „Du kannst dich leider nicht neben mich setzen im Restaurant.“
„Warum? Sitzt da schon jemand?“
„Ja, einer, der mir wirklich sympathisch ist.“
„Alles klar, das ist mir auch lieber so.“
„Ach ja, warum das?“
„Du riechst immer so nach altem Mann.“
„Aha. Na, das versteh ich doch.“
Wehe aber, wenn die sich eben noch so munter bepöbelnde Männer-Gang Ärger mit jemanden von „draußen“ bekommt. Dann üben die sich eben noch im verbalen Wettstreit die Buchstaben wetzenden Kerle den spontanen Schulterschluss und tun sich gegen die neue Bedrohung zusammen.
Ein Mann, der gern anonym bleiben möchte: „Mit den Jungs einmal so richtig schön pöbeln, schimpfen und Zoten reißen, das ist befreiend und der beste Stressabbau. Sonst muss man ja im wahren Leben auf jedes einzelne Wort achten und kann eine falsche Formulierung gerade bei den Frauen kaum wieder zurücknehmen. Da tut es gut, unter Gleichgesinnten zu sein, die eine freundliche Beleidigung nicht persönlich nehmen.“ (Text: Carsten Scheibe)
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