Scheibes Kolumne: Aus dem Redaktionsalltag
Morgens um halb acht ist die Welt noch in Ordnung. Jedenfalls bis ich den Rechner einschalte. Wieder warten viele Mails auf mich – wer schreibt die eigentlich in der kurzen Zeit, in der ich schlafe? Aha. Ich werde aufgefordert, einen Artikel über die neue Bürgerbewegung schreiben, die FÜR ein hemmungsloses Grillen am Falkenhagener See ist.
Die nächste Mail fordert einen Bericht über die Bürgerbewegung, die GEGEN das Grillen agiert. Eine dritte Mail fordert, dass ich mich generell gegen den Fleischverbrauch stelle und meiner Vorbildfunktion entsprechend lieber zum veganen Lebensstil wechseln soll. Verschämt lege ich das frisch entwickelte Logo für unseren bald bei Selgros stattfindenden Grillwettbewerb beiseite.
Ich widme mich lieber den neu eingegangenen Anzeigen für unser Magazin. Ich speichere die Dateianhänge alle im Material-Ordner und wundere mich, dass aus 20 Dateien plötzlich nur noch drei werden. Naja, kein Wunder. Alle Anzeigen heißen unisono „Falkenseeaktuell“ und unterscheiden sich einzig und allein im Dateiformat voneinander. Jetzt habe ich statt 20 Anzeigen nur noch drei, die aber als PDF, als PNG und als DOC. Also noch mal von vorn: Alle Anzeigen werden gespeichert, dabei aber umbenannt, sodass sie nun alle so heißen wie die Firmen, die sie schalten.
Genug der Büroarbeit, ich muss raus, die Welt erkunden, Geschichten finden, großen Journalismus zelebrieren. Weit komme ich nicht, wir machen ja eine Lokalzeitung. Im neu eröffneten italienischen Restaurant möchte ich nur eine Kleinigkeit kosten, etwa einen Rucola-Salat mit Tintenfisch-Tulpen. Der Besitzer fasst sich – tief in seiner sizilianischen Ehre verletzt – an die Brust, sinkt zusammen und fragt: „Willst du mich beleidigen?“ Also doch 5-Gang-Menü und am Ende Trüffel-Spaghetti in Butter aus dem Parmesanlaib. Sooo lecker. Wollen wir nur hoffen, dass da keine Kalorien enthalten waren. Das ist also investigativer Journalismus. Oder doch eher digestiver? Meine Frau merkt an, dass es besser für mich wäre, lieber neue Fitness-Center zu testen und keine Restaurants mehr.
Kurz vor dem letzten Happen selbstgemachtem Tiramisu ruft das Büro an. Ich soll doch bitte so schnell wie es nur geht zum Tierfutterladen in der City kommen. Das mache ich doch glatt. Vor Ort steht die ganze Belegschaft aufgeregt vor dem Papiercontainer. Man könnte ja gar nichts mehr vom eigenen Müll entsorgen, weil da ja unsere Zeitungen in Massen drinnenliegen würden. Tatsächlich: Knapp tausend nagelneue Papierzeitungen stapeln sich im Container. Ich sammele sie alle wieder ein, weil sie weder geknickt noch dreckig sind – und rufe die Verteilfirma ein. Die beruft umgehend die beiden Verteiler ein, die in der Region Hefte in die Briefkästen stecken sollen. Beide gestehen sofort. Und sind prompt ihren Job los. Ich koche trotzdem. Wer Arbeit annimmt, sollte sie auch erledigen. Da hängen Existenzen dran. Auch unsere.
Zurück im Haus schimpft die beste aller Ehefrauen. Die Spedition ist gekommen und hat das neue Hochglanzheft gebracht. Leider stehen die Paletten nun so im Carport, dass kein Auto mehr hineinpasst. Egal, Hauptsache, die Zeitungen werden nicht nass, wenn es einmal regnet.
Kaum sitze ich wieder am Rechner, werden die neuen E-Mails gecheckt. Jemand schreibt mir, dass der eine Artikel im letzten Heft der beste ist, den er je gelesen hat. Und ein anderer Leser lässt mich wissen, dass exakt der gleiche Artikel das letzte Stück Dreck in diesem Universum sei und dass er jeden Tag den Umstand beweint, dass so viele Bäume auf dieser Erde hätten sterben müssen, um ihn auf Papier drucken zu können.
Nach einem langen Tag voller Trubel sitze ich um Mitternacht noch am Rechner – ganz allein. Doch dann macht es an der Terrassentür „Klonk!“ Froschi ist wieder da, wie an so vielen Abenden in den letzten Jahren, und bettelt um ein Voluntariat in der Redaktion. Leider muss ich erneut ablehnen und Froschi hüpft davon in die Dunkelheit. (Text: C. Scheibe / Foto oben: Tanja M. Marotzke / Foto Froschi: CS)
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