Scheibes Kolumne: Von Klospülungen & trockenen Händen
Es ist ein echter Kardinalfehler von mir, jedes Mal im Kino zu diesem einen bestimmten Erfrischungsgetränk zu greifen, das aus herben Holunderbeeren hergestellt wird. Es sorgt dafür, dass meine Nieren im Kino Sonderschichten schieben und jeden Tropfen Flüssigkeit aus den Adern herauspressen. In der Folge drückt die Blase. Heftig.
Bei Filmen in Überlänge hilft gar nichts mehr: Da muss ich mich zum Mädchen machen und aufstehen, bevor das Wort ENDE auf der Leinwand steht.
Nur – mit diesen modernen öffentlichen Toiletten komme ich so gar nicht mehr zurecht. Da stehen die Urinale zwar in Reih und Glied und unterhalten den männlichen Gast mit Torwart-Spielchen im Becken und lustigen Plakaten auf der Wand. Aber – was ist, wenn ich fertig bin? Mein Blick irrt hektisch hin und her, aber ich entdecke den Knopf für die Spülung einfach nicht. Fast möchte ich mich schon hinknien, um unter dem Becken nachzuschauen. Wenn nur mein Becken-Nachbar nicht schon so mitleidig gucken würde. Aber ja, mein Freund, ich kenne die Regeln. Morgens heißt es – erst die Hose, dann die Schuhe. Und in der öffentlichen Toilette – erst abschütteln, dann den Reißverschluß hochziehen, nie umgekehrt.
Ich gebe die Suche auf, schließe den Gürtel, wende mich ab, suche die Waschbecken und höre hinter mir – die Spülung. War‘s mein Nachbar? Nein. Es scheint eine Automatik zu sein, eine Art Lichtschranke, die die Spülung auslöst, sobald sie nicht mehr von meinem Adoniskörper blockiert wird. Ich beschließe, beim nächsten Mal den Sensor zu suchen. Wenn es denn ein nächstes Mal gibt!
Normalerweise kann ich dem Reiz ja bis Freitag widerstehen, wenn er am Montag aufkeimt. Aber nicht bei dieser Limonade.
Am Waschbecken taste ich auf den silbernen Armaturen herum. Nichts lässt sich anheben, drehen, drücken, ziehen, schieben oder in eine andere Position bringen. Wie mache ich denn jetzt das Wasser an? Ich stehe ganz schön blöd in der Gegend herum mit meinen knapp fünfzig Jahren, denn ich habe keine Ahnung.
Zum Glück kommt nun mein Beckennachbar kopfschüttelnd heran. Er stellt sich neben mich und hält die Hand unter den Wasserhahn. Ey Alter, du bist doch nicht Jesus, der das Wasser kontrolliert. Aber er scheint es doch zu sein, denn kaum vollendet er die Geste, da rauscht das Wasser aus dem Hahn. Auch ich bin Jesus, denn das klappt sogar bei mir. Mein Nachbar schüttelt weiter den Kopf. Ich kann richtig sehen, wie er denkt – was für eine Hohlbirne!
Auch hier scheint wieder eine Lichtschranke zum Einsatz zu kommen. Wer denkt sich so etwas aus? Was spricht gegen einen Hebel zum Ziehen oder ein Rädchen zum Drehen? Warum gibt es keine Piktogramm-Gebrauchsanweisung? Haben die Mädels das auf dem Klo auch so?
Die Hände sind nun sauber, aber nass. Ich weiß – jetzt wird es kritisch. Ich habe schon Automaten mit einem unermüdlich rotierenden Endlos-Handtuch gehabt. Oder solche, wo man die Hände reinstecken muss und dann pustet der Automat so lange nutzlos Luft drauf, bis man aufgibt und sich die Hände doch noch an der Hose abtrocknet. Ich finde eine neue Variante vor. Aus meinem Automat hängt unten etwa einen halben Millimeter weit die Kante eines Papiertuchs heraus. Aber egal, wie lang meine Fingernägel auch sein mögen, das Papier zerbröselt unter meinen Pinzettenfingern.
Ich will schon aufgeben, da unternehme ich einen letzten Versuch. Ich mache Hampelmänner vor dem Apparat. Tanze auf einem Bein. Bewege die Hände unter dem Ausgabeschlitz. Letzteres war die magische Tat: Es rattert und ein Bogen Papier kommt aus der Maschine. Ich greife es, trockne mir die Hände ab, schüttle den Kopf und sage mir: Nie wieder! Entweder gibt‘s im Kino ab sofort keine Limo mehr oder ich binde mir eine Windel um. (Carsten Scheibe, Foto: Tanja M. Marotzke)
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