Konzertbericht: Neil Young in der Zitadelle Spandau
Was soll man da sagen? Das war einmal wirklich eine echte Überraschung, als sich überraschend auch noch Neil Young für das Citadel Music Festival in der Berliner Zitadelle anmeldete. Der kanadische Gitarrengott ließ es am 19. August so richtig krachen und brachte mit lauten Gitarrenrückkopplungen ganz Spandau um die Bettruhe.
Neil Young ist so ein Musiker, der entweder innig von seinen Fans geliebt oder von seinen Gegnern aus tiefstem Herzen gehasst wird. Auch die Gegner müssen allerdings zugeben, dass es Neil Young wie keinem anderen Künstler gelungen ist, seit der Veröffentlichung seiner ersten Soloplatte „Neil Young“ im Jahr 1969 ganz oben an der Spitze mitzumischen. Young war auf den großen Bühnen oder im Plattenladen immer präsent – mal allein mit seiner Band Crazy Horse, dann mit den Grungern von Pearl Jam oder als Crosby, Stills, Nash & Young zusammen mit alten Weggefährten. Das bedeutet: Der Rocker, Grunger, Folk-Gitarrist und Rock‘n‘Roller braucht kein Comeback wie so viele andere. Das brauchen nur Musiker, die zwischendurch mal „weg“ waren.
Auch wenn er immer wieder zwischen akustischen Schmusesongs und harten elektrischen Rockoden hin und her oszilliert wie ein schizophrener Kreativexpressionist, der sich nie entscheiden kann, so macht genau dieser Dualismus den Reiz seiner Musik aus. Mal schmachtet man mit der Süßen im Arm zu „Heart of Gold“, dann keimt auch schon bei „This Note‘s For You“ der Wunsch auf, ganze Hotelzimmer zu zerlegen. Wenn nur eins zur Hand wär‘.
Wie dem auch sei: In Berlin präsentiert sich Neil Young in absoluter Bestform. Der Ansturm der Fans ist immens. In der platzmäßig begrenzten Zitadelle gibt es keine Sitzplätze mehr wie sonst im Citadel Music Festival, sondern nur noch Stehplätze. Draußen parken die Besucher zum Teil schon in zweiter Reihe auf dem Bürgersteig. Sie strömen noch in den atmosphärisch überwältigenden Open-air-Innenraum der Zitadelle, da ist die Vorband ungehört schon längst mit der Arbeit fertig und die Umbauten beginnen.
Als es kurz nach halb acht so weit ist, taucht der 1945 geborene Neil Young zusammen mit einer überraschend großen Crew auf der Bühne auf. Die Steel-Gitarre, dazu eine dröhnende Bass-Gitarre und Neil-Youngs eigene E-Gitarre: Schnell wird den frenetisch jubelnden Besuchern klar, dass heute kein softer Schmuseabend auf dem Plan steht. Und tatsächlich: Neil legt sofort los mit einem schnellen und von Gitarrenrückkopplungen getriebenen „My My, Hey Hey (Out of the Blue)“, das mit einem langen Solo noch endlos gedehnt wird – zur großen Freude der Zuschauer, die froh sind, keine normalen Studio-Aufnahmen serviert zu bekommen, sondern handgearbeitete Live-Versionen.
Neil konzentriert sich sehr auf seinen alten Fundus und bringt ein von den Fans geliebtes Stück nach dem anderen – „Heart of Gold“, „Cinnamon Girl“, „Cowgirl in the Sand“, „Helpless“ und „Old Man“. „The Needle and the Damage Done“ darf natürlich nicht fehlen. Und bei „Powderfinger“ und „Cortez The Killer“ läuft es einem schon eiskalt den Rücken runter, weil man diese kraftvollen Stücke schon tausendfach gehört hat: „Look out, mama, there‘s a white boat coming up the river…“
Bei vielen Liedern, die alle in einer sehr harten, rockigen Version vorgetragen werden, singen die Fans lautstark mit. Auch das sorgt für Gänsehautatmosphäre, zumal die Fans sichtbar zusammen mit ihrem Idol gealtert sind. In der Zitadelle finden sich fast nur Besucher zwischen 40 und 60 Jahren, darunter sehr viele Paare, denen man ansieht, dass sie passend zu Youngs Musik viele wichtige gemeinsame Erinnerungen haben. Und sind Twens unter den Zuhörern, dann meist junge Frauen, die sichtbar begeistert mitwippen: Neil hat es eben noch, das Feeling eines echten Rockers.
Wer nicht nur Klassiker, sondern auch ein paar Aufnahmen jüngeren Datums hören möchte, wird von Young auch bedient. Allerdings zeigen die Rufe bei der Zugabe, die kurz vor 22 Uhr eingelöst wird, dass es noch etliche Songs gibt, denen das Publikum lieber gelauscht hätte – etwa „Like A Hurricane“, „Sugar Mountain“ oder „Tonight‘s the Night“.
Für den Autoren dieser Zeilen war der Abend in der Zitadelle der beste Auftritt von vielen Youngs, die er bereits in Berlin gesehen hat – etwa in der Waldbühne. Die Zitadelle ist einfach intimer und näher dran am Künstler. Die Akustik war super und Neil Young ist einfach am besten, wenn er Hammond-Orgel und Mundharmonika einmal ruhen lässt und sein Publikum in einem reinen Inferno aus hochgepeitschten Gitarrenrückkopplungen baden lässt. Das ist dann die ganz große Kunst – und das gelingt keinem so gut wie ihm. Keine Frage also: Auch dieser Konzertabend des Citadel Music Festivals hat sich wieder voll gelohnt. (Carsten Scheibe)
Fotonachweis: (C) Concertbüro Zahlmann, mit freundlicher Genehmigung
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