Scheibes Glosse: Ich werde alt
Mit 10 Jahren dachte ich noch intensiv darüber nach, mich von einer radioaktiven Spinne beißen zu lassen und zum Superhelden zu werden. Mit 20 Jahren dachte ich, mir steht die ganze Welt offen und ich könnte noch immer Millionär werden und zwanzig Skinheads auf einmal verprügeln. Mit 30 Jahren dachte ich, ich könnte jederzeit noch einmal ganz von vorn anfangen – egal, wo auf der Welt, und egal, in welchem Beruf.
Jetzt, mit 40-plus, fällt mir ein, dass der Mensch von der Natur dafür ausgestattet wurde, etwa 30 Jahre alt zu werden. Von da an geht es körperlich nur noch bergab. Früher in der Urzeit kam irgendwann der Säbelzahntiger um die Ecke und machte der Sache ein Ende, bevor die müden und morschen Knochen von alleine auseinander fielen.
Den Säbelzahntiger habe ich in Falkensee noch nicht gesehen. Aber ich spüre, wie meine Chancen schwinden, vor ihm davonzulaufen. Der rechte Fußknöchel, einmal vor Jahren beim Fußballspielen umgeknickt, macht bei schlechtem Wetter plötzlich Mucken. Das linke Knie, beim Tragen der Kisten von Falkensee aktuell verdreht, fängt bei Belastung nun tagelang an zu schmerzen. Auch das Kreuz zwickt, sicherlich die Rache für das viele Schuften auf dem Bau während meiner Studienzeit.
Die Haare fallen aus, bevor sie grau werden, der Bauch wächst und das Gehör lässt deutlich nach. Sprechen nun mehrere Menschen durcheinander, höre ich auf einmal keinen mehr von ihnen deutlich. Was dazu führt, dass ich auf Parties oft kein Wort mehr verstehe und deswegen nur alle paar Minuten freundlich nicke, wenn jemand mit mir spricht.
Meine Augen sind schon immer schlecht. Ich trage eine Brille, seitdem ich in Schulzeiten eine heiße Blondine angeflirtet und erst beim Näherkommen festgestellt habe, dass es ein hässlicher Kumpel war. Letztens war ich beim Optiker und der bescheinigte mir mitleidig, dass meine Sehleistung seit dem letzten Besuch um eine ganze Dioptrien nachgelassen hat. Nun ist meine Brille so stark, dass ich zwar gut in der Ferne sehen kann, sie aber abnehmen muss, wenn ich etwas direkt vor meinem Gesicht lesen möchte. Ich höre, das sei der Anfang vom optischen Ende. Beim nächsten Mal bräuchte ich dann erstmals eine Gleitsichtbrille.
Meine Familie sagt, dass ich schnarche. Das kann ich mir zwar beim besten Willen nicht vorstellen. Ich kann mir aber auch nicht vorstellen, warum mich die Leute immer treten, wenn ich neben ihnen ein Nickerchen mache. Überhaupt: Mein Rekord aus frühen Zeiten sind zwei durchgemachte Nächte nacheinander. Inzwischen ist an so etwas überhaupt nicht mehr zu denken. Wenn ich nicht meinen Schlaf bekomme, bin ich den ganzen Tag über matschig. Und schiele bei der Arbeit vor Müdigkeit.
Früher konnte ich nie verstehen, warum die „alten Leute“ immer so viel über ihre Krankheiten und Wehwehchen sprechen. Heute weiß ich es: Weil sie es können. Hier geht einem der Gesprächsstoff nie aus und jeder kann eine spannende Geschichte beitragen. Ich mach da gerne mit. (Carsten Scheibe)
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