Scheibes Glosse: Männer beim Zahnarzt
Früher als Kind bin ich immer sehr gern zum Zahnarzt gegangen. Da lagen im Wartezimmer immer die neuesten Superman- und Batman-Comics aus. Und nach der Durchsicht meiner mies geputzten Zähne hieß es am Ende doch immer: Alles chic, kannst wieder nach Hause gehen.
Ich hatte dann lange Zeit den Irrglauben, kein einziges Bakterium dieser Welt könne meinem Zahnschmelz etwas anhaben. Also ging ich mein ganzes Studium über nicht mehr zum Zahnarzt – keine Zeit. Nach all diesen Jahren lernte ich dann plötzlich die blutspritzenden Wonnen der Ultraschall-Zahnstein-Intensivreinigung kennen. Und bekam in einer einzigen bohrintensiven Sitzung gleich sieben Inlays verpasst. Das war die Quittung für die vielen Jahre Fernbleiben.
Diese Lektion in dontologischer Demut sorgte dafür, dass ich echte Angst vor dem Zahnarzt erst als Erwachsener entwickelte. Angst? Wohl eher nackte Panik! Lieber drei halbwegs überflüssige Organe spenden als einmal zum Zahnarzt gehen.
Jahrelang ging trotzdem wieder alles gut. Alle sechs Monate zur Zahnhygiene, um in Blut und Schmerz wieder saubere Zähne zu bekommen, dann noch ein Kontrollblick vom Zahnarzt. Alles chic, SIe können wieder nach Hause gehen. Und bitte erstmal nix essen. Diese Wunderworte wurden dann umgehend im benachbarten argentinischen Steakhaus gefeiert.
Die Glückssträhne hielt leider nicht bis in alle Ewigkeit. Bei der jüngsten Sitzung hieß es bei der Kontrolle auf einmal: „Ah, junger Freund, da ist eine gaaaaanz kleine Karies, die bohre ich Ihnen mal eben ohne Betäubung weg.“ Als sich die ziehenden Nervenschmerzen langsam verzogen und sich das weiße Licht am Ende des Tunnels wieder entfernte, waren drei weitere Backenzähne so weit aufgebohrt, dass nur noch hauchdünne Rudimente übrig blieben. Ich weiß das so genau, weil der Zahnarzt seine neueste Errungenschaft an mir ausprobierte – eine winzige Kamera, die in meinen Zahnstumpf blickte und mir das unschöne Ergebnis auf dem Monitor zeigte.
„Sie haben aber gut versteckte Karies“, hieß es. Und ab zum Röntgen. Da zeigte sich dann auch noch, dass ein Weisheitszahn komplett verkariest war – nur sah man von außen nix. „Kein Problem, den heble ich Ihnen raus, wenn ich die Inlays reinmache.“
Ich würde jetzt sagen, ich kann ja mit den Schmerzen leben, nur aber nicht mit der Gewissheit, mich ihnen in zwei Wochen aussetzen zu müssen. Die Wahrheit ist, ich kann beides nicht haben. So gern hätte ich mich gedrückt, hätte lieber die Kinder geschickt, hätte mich zur Fremdenlegion gemeldet, wäre ausgewandert, hätte dem Zahnarzt abgeschworen. Mein mitleiderregender Dackelblick half nix:
Weder die Familie noch das Büro bedauerten mich. „Sei ein Mann, stell dich nicht so an.“
Nun habe ich es hinter mir. Mit 44 Jahren hat mich mein allererstes Körperteil verlassen – mein Weisheitszahn. Der Zahnarzt hat erst gehebelt und dann wie im alten Western-Film die Kneifzange geholt. „Der geht aber schwer raus.“ Am schlimmsten war das Knirschen im Kopf, als sich der Zahn langsam aus dem Kiefer löste. Und dann erst dieses riesige Loch im Kiefer. Das nächste Mal zum Zahnarzt? Wenn es nach mir geht, dann niemals wieder. (C. Scheibe)
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