Scheibes Glosse: Eine ehrliche Frisur
Volles Haar ward mir gegeben. In meiner Jugend sah ich gemäß meiner eigenen Erinnerung so aus wie der Don Johnson von Berlin. Aber dann, bereits in den Zwanzigern – kam plötzlich immer mehr Sonnenlicht bis auf die Kopfhaut durch. Die Friseurin meinte irgendwann scherenklappernd mitfühlend im Wir-Modus: „Ich glaube, wir bekommen da ein Problem auf dem Kopf: Die Haare werden lichter.“
Sofort kredenzte mir die Friseurin zahlreiche Wunderwässerchen, Salben und Kuren, die allesamt den Haarwuchs anregen sollten, ein Vermögen kosteten und ihr wahrscheinlich den Lebensabend finanziert hätten.
Ich denke, wir modernen Männer von heute sind da einfach nicht mehr die richtige Zielgruppe für so etwas. Anstatt nun die Nackenhaare mit Pomade nach vorn zu kämmen, Lücken im Haarwuchs mit dem schwarzen Edding zu bekämpfen oder nach einem Fifi (Toupet) zu suchen, zuckte ich nur mit den Achseln: „Dann ist das eben so. Wenn Gott möchte, dass meine Haare eher als mein Körper wieder zur Erde zurückkehren, aus der sie gemacht sind, dann ist das eben so.“ Natürlich gibt es noch andere Sprüche: „Auf Stahl wächst kein Rasen.“ Oder: „Männer mit viel Testosteron im Blut haben meist keine Haare.“ Oder: „Ich brauch‘ meine Haare für den Rücken.“
So oder so hab ich nie versucht, meine vergehende Haarpracht zurückzuholen. Es kommt eben, wie es kommt. Nun habe ich auch viele Freunde, die ein ähnliches Problem haben. Sie tendieren aber noch mehr zu einer „ehrlichen Frisur“ und sind seitdem mit Glatze unterwegs. Ehrlich: Frauen stehen darauf und wollen gern einmal fühlen. Ich habe mit echter Glatze aber nur einen doofen Eierkopf. Und ich hab gesehen, welche blutigen Unfälle auf dem Hinterkopf möglich sind, wenn mal wieder der Nassrasierer ausrutscht. Und so verweigere ich mich der Aufforderung meiner Kumpels, doch „endlich den letzten Puschel“ abzurasieren. Stattdessen trage ich mein Resthaar lieber ganz kurz. Morgens unter die Dusche gehüpft, einmal mit dem Handtuch drüber – fertig. Einen Fön hab ich schon lange nicht mehr gebraucht.
Frustrierend ist dann ausgerechnet wieder die Friseurin. Letztens wollte sie den kompletten Schnitt mit der Maschine machen: „Für die paar Haare lohnt es sich doch gar nicht mehr, die Schere rauszuholen.“ Na, schönen Dank. Auch wenn ich nicht mehr viele davon habe, ich liebe meine Haare. Manche haben sogar Namen. Nämlich der Personen, die Schuld daran sind, dass sie grau geworden sind, bevor sie ausfallen. Denn meist ist es anders herum. So werde ich wohl im Alter doch eher eine ehrliche Frisur tragen anstelle einer schönen Friedhofsblondierung.
Aber mal ehrlich: Sollte es noch schlimmer kommen, kann ich ja immer noch Mütze tragen. (Carsten Scheibe)
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