Scheibes Glosse: Fernsehen ist doof
Liebes Fernsehen, so lange sind wir schon gute Freunde. Unsere Beziehung reicht in Zeiten zurück, da gab es nur fünf Sender – und nachts ein Testbild. Aber was in den letzten Jahren mit dir passiert ist, da kann ich nur mit dem Kopf schütteln, da muss ich dir einmal ins Gewissen reden. Am Nachmittag gibt es längst kein Schulfernsehen mehr, das mir die Elemente erklärt.
Stattdessen kommen nur noch Ballermann-Asis zu Wort, die frei nach dem Motto „Lautstärke statt Argumente“ sofort anfangen zu schreien, sobald (nach fünf Sekunden) der erste Konflikt auf den Tisch kommt. Dieses heisere Brüllen muskelstrotzender, tätowierter und rauchender Steroidjunkies mit Kippe im Mundwinkel wirkt auf mich ähnlich hirnzersetzend wie das Kreischen der wasserstoffblonden Tussies, die nach der neunten Klasse ihre Schulzukunft gegen dicke Kunsthupen eingetauscht haben. Ihre Stimmen klingen für mich stets so, als würde man ihre zentimeterlangen Kunstfingernägel alle gleichzeitig in die rotierende Flex halten. Wer will so etwas sehen? Man kann nur hoffen, dass Deutschlands Durchschnitt mehr zu bieten hat als das keifende Familienbrennpunktpersonal. Ansonsten mag die Nation gern darniedergehen, sie hat es nicht anders verdient.
Abends hat die große Show längst abgedankt. „Wetten dass“ bringt nicht nur Tom Hanks zum Fremdschämen. Die Alternative? Abgetakelte Z-Promis und der Bodensatz längst vergangener Casting-Shows werden in den Dschungel, in dämliche Spielshows oder in neue Castings geschickt, um hier ihr Nichttalent und ihren aufs Einstellige eingestellten IQ zu beweisen. Zuletzt schickte RTL die „Promis“ sogar in die Wüste. Warum die rundherum brustoperierten Teilnehmerinnen da nicht geblieben sind? Keiner weiß es. Klar scheint, dass für die meisten der B- bis Z-Promis die Zweit- und Drittverwertung in dümmlichen Shows das einzige Finanzierungsmodell der kommenden Jahre sein wird.
Gibt es noch eine Alternative dazu? Aber klar: Die Erdkrumenbesamer aus „Bauer sucht Frau“ müssen verdammt große Kartoffeln ernten. Und die Mädels aus „Frauentausch“ möchte man nicht tauschen, sondern am liebsten gleich im Duo entsorgen.
TV-Serien „Made in Germany“? „Der letzte Bulle“ war gut, „Danni Lowinski“ war gut, „Doctor‘s Diary“ war fantastisch. Aber das war es dann auch schon wieder. Die deutschen Serien und Tatorte sehen oft aus, als hätte man das Budget der Klofrau vom Teller gemopst, als kämen die Schauspieler alle vom Theater (bloß nicht viel bewegen) und als hätte der Kameramann gerade die komplette Serie „Derrick“ am Stück gesehen und das langsame Tempo der Uraltvorlage adaptiert.
Die Amis machen es uns vor: Hier gibt es Hunderte toller Serien, lustig, spannend, brutal, verstörend. Und der Anteil der epochalen TV-Events mit überaus hochwertiger und manchmal auch den Intellekt der Zuschauer fordernder Spielweise und Story wächst und wächst. „Dexter“, „Die Sopranos“, „Game of Thrones“, „Sons of Anarchy“, „Hell on Wheels“: So etwas sucht man in Deutschland leider vergebens. Einzig Nico Hoffmann sorgt mit seinen Event-Programmierungen wie „Der Tunnel“, „Die Sturmflut“ oder „Die Flucht“ im deutschen Fernsehen für eine eigene Note.
Der einzig innovative Kopf im TV: Stefan Raab. Wenn er im Wok die Eisbahn herunterwieselt, sich bei „Schlag den Raab“ die Knochen bricht oder zum Gesangsduell bittet, dann glaubt man ihm als einzigen, dass es hier nicht nur um Geld geht, sondern um den unbedingten Willen zum Gewinnen und um den Spaß am Experimentieren. Aus diesem Grund versagen auch Nachmachershows wie Oliver Pochers „Alle auf den Kleinen“ oder die Turmspringer-Show „Pool Champions“. Hier geht es irgendwie nur ums Dabeisein, aber nicht darum, ein echtes Duell zu starten. Man kann zu Raab mit seiner grinsenden Riesenkauleiste, dem schütteren Haar und dem ewig gleichen Outfit sagen und meckern, was man möchte: Der Mann brennt für seine Shows. Und ohne ihn wäre das Fernsehen in den letzten Jahren noch viel langweiliger geworden. (Carsten Scheibe)
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