Scheibes Glosse: Die rote Laterne
Das Liebesleben im Havelland, es blüht in diesem Sommer so richtig auf. Schon lange wundern sich die Autofahrer, die von Seeburg aus nach Potsdam unterwegs sind, über eine einsame Blondine, die am Waldesrand neben der L20 steht. Doch schnell fanden sie heraus, dass es nicht die Frischluft war, die die Dame in die Wälder trieb.
„Ich geh mal ein bisschen in die Pilze“, murmelten schon bald immer mehr Männer doppeldeutig und fröntem fortan mit Begeisterung und zur Verwunderung ihrer Frauen dem einsamen Spaziergang in unseren Wäldern. Selbst der Hund durfte nicht mitkommen, sicherlich aus Vorsicht wegen der vielen Wildschweine.
Der Erfolg der Liebesdienerin vor Ort sprach sich anscheinend schnell herum, denn inzwischen steht an manchen Tagen scheinbar an jedem Waldweg eine neue junge Dame des horizontalen Gewerbes. Die Sprache der Liebe ist ja eine internationale – und so scheinen fehlende Deutschkenntnisse kein Hindernis zu sein im Austausch der Zärtlichkeiten zwischen den Havelländern und den osteuropäischen Exportartikeln.
Während Falkensee noch schadenfroh nach Dallgow feixt und die Dallgower Behörden anscheinend nichts gegen das florierende Geschäft mit der Liebe unternehmen können, hat nun die dienstälteste Liebesdienerin ihr Bündel geschnürt und ist mitsamt der hochhackigen Schuhe und der platinblonden Mähne näher an Falkensee herangerückt. Sie steht nun nur noch von einem Hügel getrennt vor dem Falkenseer Hofladen an der Potsdamer Straße.
Und schon gehen die Diskussionen los. Erweitert sich der Straßenstrich nun wohl bis nach Falkensee hinein? Sind vielleicht die vielen neuen Matratzenläden in Falkensee das erklärte Ziel der Bordsteinschwalben? Müssen Falkensee und Dallgow nun umbenannt werden – in Sodom und Gomorrha?
Schon fragen sich die besorgten Mütter, wie sie es wohl auf dem Weg zum Hofladen ihren Kindern erklären, warum da eine Frau an der Straße steht.
„Mein Kind, das sind Erntehelferinnen“ wäre eine mögliche Antwort. Und es wäre nicht einmal gelogen. Man könnte es auch stadtpolitisch erklären: „Die Dame sorgt für ein erhöhtes Verkehrsaufkommen an der Potsdamer Straße.“
Wer den Schaden hat, braucht demnach für den Spott nicht zu sorgen. So unken viele Falkenseer bereits, dass nun das Taschengeld der pubertierenden Jünglinge im Ort dringend erhöht werden muss, um einem finanziellen Engpass vorzubeugen. Denn welcher Sexualkundeunterricht ist denn wohl praxisorientierter? Der in der Schule oder der an der Potsdamer Straße?
Ein Bett im Kornfeld scheint es immerhin nicht zu geben. Wie und wo hier wohl das am Straßenrand vereinbarte Geschäft abläuft? Im eilig geparkten Auto der Kunden? Das würde schnell zu Diskussionen führen: „Guck mal, der Peter, da steht sein Wagen im Feld, der wird wohl in der Mittagspause wieder naschen sein – an verbotenen Früchten.“
Aber so lustig, wie sich das Thema präsentieren lässt, ist es nicht. Empörung wird laut, Bürger schließen sich zusammen, das Eingreifen der Regierung oder wenigstens des Bürgermeisters wird gefordert. Die Vertreterinnen des horizontalen Gewerbes sollen verschwinden. Sofort. Schnell. Für immer. Doch offenbar dürfen die Liebesdamen ihr Geld im Freien verdienen, solange sie kein „öffentliches Ärgernis“ erregen. Und überhaupt: Bereits die Kirche hat das älteste Gewerbe der Welt nicht beseitigen können, wie soll es dann unser Ordnungsamt schaffen?
Wer sich auch noch am Abend empört, dass da zwischen Havelpark und Hofladen nachts die Rote Laterne im Freien angezündet wird: Manchmal ist ein rotes Licht auch einfach nur ein rotes Bremslicht vom Auto direkt vor einem. (Carsten Scheibe)
Übrigens: Die Dame, die jetzt an der Potsdamer Straße steht, ist 40 Jahre alt, stammt aus Lettland, spricht sehr gut Deutsch, wohnt in Berlin und arbeitet bereits ihr ganzes Leben lang im Gewerbe.
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