Uwes Kolumne: Lasst uns kleben
Neulich erst fuhr vor mir ein Auto mit einem großen Schriftzug auf der Heckscheibe. Trotzdem konnte ich das böse F-Wort erst nach mehrmaligem Hinsehen klar erkennen. Warum klebt man sich so etwas aufs Auto? OK, „Geschlechtsverkehr“ oder „Kopulieren“ passt ja auch nicht und wirkt uncool.
In meinem kleinen Männerhirn, ganz hinten im Lustzentrum, entstand das Bild einer drallen Blondine, die sich am Steuer des Autos mit der Zunge über die Lippe fährt. Die Enttäuschung folgte auf dem Fuß und an der nächsten Ampel. Hinter dem Lenkrad des Proletenporsches saß ein pickelgesichtiger Junge mit Basecap. Schnell wurde mir klar, dass dieser Teller bunte Knete, nennen wir ihn einfach einmal Horst, wie der Hungrige ist, der vom Brot spricht. Horst hat also ein erhebliches Kopulationsdefizit.
Ich hab das Gefühl, Aufkleber auf dem Autos hatten früher mehr Stil. Klar gab es sexuelle Anspielungen, wie zum Beispiel beim Golf Rabbit die sechs Hasen (Sexzylinder) oder das Bild vom Elch, der seine Elchkuh beglückt. Hat man dann dazu den Fahrer und seine Beifahrerin gesehen: Mein Gott, diese Bilder kriegt man nur schwer wieder aus dem Kopf. Ob sich die Nachbarn über das ständige Röhren mitten in der Nacht schon beschwert haben?
Egal. Das erste, was ich an meinen Audi 80 GLS in den 80igern als Aufkleber rangepappt habe, waren Rallyestreifen. Der Wagen fuhr dann gleich viel schneller. Dann kamen die politischen Aussagen, die ich mir selber zusammenbasteln musste. „Anarchie ist machbar“ und „Keine Macht für niemand“! Tja und dann gabs da noch diverse Aufkleber, die zum Überdecken von jder Menge Rost- und Lackschäden geeignet waren. „Ich bin Energiesparer“ z.B. oder der Aufkleber, den man für das Ausland haben musste und dem ein ganzes Fernsehmagazin gewidmet war: „Kennzeichen D“. Natürlich durfte auch der Surfaufkleber nicht fehlen.
Manche Aufkleber haben sich ja bis heute gehalten. Der Spruch der Cree Indianer: „Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werdet ihr merken, dass man Geld nicht essen kann“. Kommt besonders gut auf der alten Studentenkarre, die ja reichlich Abgase produziert und damit einen nicht unerheblichen Beitrag zum Waldsterben beiträgt. Oder ein „Herz für Kinder“ – das bezieht sich aber nur auf die eigenen. Nachdem Mutti die Kinder in der Waldorfschule abgeben hat, damit diese ihren Namen tanzen, rast sie wie seinerzeit Starsky und Hutsch vom Hof, Kollateralschäden am Auto und Anwesenden Mitschülern in Kauf nehmend. Fehlt nur noch die Sirene für die zünftige Verfolgungsjagd. Eine Verfolgungsjagd zur nächsten Pediküre oder zu Sergio dem neuen Friseur, der immer die neuesten Modetrends aus Rom kennt. Die Wahrheit ist, dass Sergio Rom nur aus den AsterixHeften kennt und sich alles immer nur ausdenkt. Die Folgen der Phantasien von allen Sergios der Welt sieht man dann als Geschmacksverirrungen auf den Flaniermeilen der Hauptstraße.
Aber zurück zu der Vehikelbeschriftung und unseren Horsts. Irgendwann scheinen die Paarungsversuche von Horst und seinen Freunden erfolgreich gewesen zu sein. Das kann man wiederum am Heck des inzwischen zur Familienkutsche mutierten Sportcabrios ablesen. Da steht dann zum Beispiel „Kevin Dennis Jonas an Bord“ oder „Chantal Jolina Jasmin fährt mit“, wohlgemerkt ohne Komma. Dass manche Eltern ihre kleinen Windelmonster schon bei der Geburt bestrafen müssen – und vor allem, wen interessiert´s? Schon mal was von Datenschutz gehört?
Übrigens scheinen unsere Bürger mit türkischen Migrationshintergrund nicht unter einer Profilierungsneurose zu leiden und sind nicht dem Zwang erlegen, der Umwelt die Namen Ihrer Kinder auf Autoaufklebern um die Ohren zu hauen. Wobei Aische Gülay und Habib hören sich doch auch recht gut an.
Später fängt dann der Nachwuchs an, es den Eltern nachzumachen. Der erste Schritt beginnt mit den Aufklebern „Abi 2014“ und „Sponsored bei Opa“. Damit die Welt erfährt, welchen Bildungsstand man hat und wer den Smart bezahlt hat. Ich bitte nur darum, dass dann auch die im Abi erzielte Durchschnittsnote mit aufs Auto kommt. Dann fällt mir die Beurteilung leichter, ob er oder sie die Karre auch wirklich verdient haben. Aber warum sollte man nicht gleich den gesamten Lebenslauf oder zumindest die Meilensteine des Lebens als Aufkleber mit aufs Auto bappen? Abi 2014, Vater 2015, Heirat 2016, Studium Abbruch 2019, Hartz IV 2021, Scheidung 2022. Komisch, das liest man kaum.
Ich wurde neulich gefragt, warum ich keinen „Atomkraft Nein Danke“ Aufkleber auf dem Auto zu kleben habe. Ganz einfach, der sieht am Ferrari einfach blöd aus. Uwe Abel (Foto oben: Maike Abel)
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