Kinderärztin Claudia Wolf: Alles zum Thema Masernimpfung
Ein Ausbruch der Virenerkrankung Masern, die zurzeit in Berlin grassiert, hat ein erstes Opfer gefunden – ein kleines Kind ist gestorben. Umso stärker wütet in den sozialen Netzwerken nun der Glaubenskrieg der überzeugten Impfgegner gegen die Befürworter einer gesetzlich vorgeschriebenen Impfpflicht.
Da hier oft Jahrzehnte der medizinischen Forschung mit Füßen getreten werden, ist es wichtig, für Klarheit zu sorgen. Diplombiologe Carsten Scheibe sprach mit der Falkenseer Kinderärztin Claudia Wolf.
Scheibe: Was ist eine Impfung?
Wolf: Bei einer Impfung werden abgetötete oder geschwächte Viren in den Körper gespritzt, sodass dieser eine ganz normale Abwehrreaktion startet und dabei dauerhaft lernt, wie der Keim zu besiegen ist. Kommt es später zum Kontakt mit dem richtigen Virus, so ist der Körper gewappnet und kann den Angriff der Viren abwehren, bevor Schaden entsteht.
Scheibe: Welche Impfungen sieht denn der aktuelle Plan zurzeit bei Kindern vor?
Wolf: Laut Vorgabe der Ständigen Impfkommission (STIKO) werden Kinder bis 18 Jahren zwei Mal gegen Masern, Mumps, Röteln und Windpocken geimpft. Der erste Impfzeitpunkt liegt zwischen dem 11. und dem 14. Lebensmonat. Eine Auffrischung erfolgt zwischen dem 15. und 23. Lebensmonat. Zum zweiten Geburstag sollten diese Impfungen abgeschlossen sein. Hinzu kommen Kombinationsimpfungen gegen Tetanus, Diphterie, Keuchhusten, Kinderlähmung, HiB und Hepatitis B sowie die Impfung gegen den Meningokokken Typ C und die Pneumokokken.
Scheibe: Die Eltern, die gegen das Impfen sind, sprechen von der großen Impflüge, sehen eine Verschwörung der Pharmakonzerne, weisen auf giftige Stoffe im Impfmittel hin und geben an, vom Impfen können Kinder autistisch werden. Was können Sie da entgegnen?
Wolf: Die Impfstoffe sind nicht so teuer. Das oft in den Impfstoffen enthaltene Aluminiumhydroxid ist wichtig für den Memory-Effekt im Körper, es verstärkt die immunologische Antwort des Körpers. Nach meinen Informationen suchen die Firmen schon seit Jahren nach anderen, „sanfteren“ Alternativen, die aber schwer zu finden sind. Ich bin der Meinung, dass wir über unsere tägliche Nahrung deutlich mehr Umweltgifte zu uns nehmen, als dies bei zwei, drei Impfungen der Fall ist. Laut der mir zugänglichen Studien ist auch nicht von echten Problemen auszugehen, die durch das bei der Impfung verabreichte Aluminiumhydroxid verursacht werden.
Es gibt auch keine wissenschaftliche Studie, die belegen würde, dass Impfungen einen Autismus auslösen können – oder Diabetes oder Allergien, wie ich das immer wieder einmal höre. Es wird dazu sehr viel geforscht. Die Allergien nehmen ja auch bei nichtgeimpften Kindern zu.
Die Ständige Impfkommission, das Robert-Koch-Institut und das Paul-Ehrlich-Institut haben die Impfstoffe ständig im Auge und bewerten sie immer wieder neu, um das Sicherheitsprofil aktuell zu halten. Aufgrund dieser Überwachung wurden auch schon Impfstoffe vom Markt genommen – wie das vor vielen Jahren bei der Tuberkulose-Impfung und zuletzt beim oralen Polio-Impfstoff geschehen ist.
Scheibe: Wie viele Impfverweigerer kann sich eine Nation leisten? Denn oft ist es ja so, dass die Impfung der breiten Masse die einzelnen Verweigerer schützt.
Wolf: Um eine Viruserkrankung endgültig auszurotten, braucht man eine Durchimpfungsrate von 95 bis 97 Prozent in der Bevölkerung. Der Schutz der Ungeimpften, der kleinen Säuglinge und eben auch der Menschen, die aufgrund einer schweren Immundefizienz, einer Chemotherapie oder einer schweren Rheumaerkrankung nicht geimpft werden können, erfolgt durch die „Herdenimmunität“. Das bedeutet, dass die geimpfte Herde die Schwachen schützt, indem die Krankheit einfach nicht weiter verbreitet wird. Heute erfolgt ein Ausbruch von Masern und anderen Krankheiten oft in ungeimpften Kollektiven – weil sich hier viele Familien finden, die alle im Verbund die Impfungen verweigern und durch ihre Gruppierung die Herdenimmunität außer Kraft setzen. Kitas könnten dagegen etwas tun, indem sie eine Impfung der Kinder zum Aufnahmekriterium machen.
Scheibe: Manche Impfgegner treffen sich ja gezielt mit infizierten Kindern zu Masern-Parties, damit auch die anderen Kinder krank werden und die Kinderkrankheiten auf natürliche Weise hinter sich bringen.
Wolf: Für Masern-Parties habe ich keinerlei Verständnis. Noch so ein unmöglicher Spruch ist der, dass sich das Mutter-Kind-Verhältnis so besonders gut aufbaue und stabilisiere, wenn das Kind eine lange und schwerwiegende Erkrankung gemeinsam mit der Mutter durchlitten habe.
Mein Mann kommt aus Afrika. Ich kann nur sagen: Afrikanische Mütter wären sehr, sehr froh, wenn sie durch ein gutes Impfprogramm ihren Kindern so etwas ersparen könnten. Die Sterberate kleiner Kinder in Afrika ist nicht zuletzt durch die Masern immer noch extrem. Jedes 5. Kind stirbt im Alter von bis zu fünf Jahren an einer Infektionskrankheit – Tuberkulose, Malaria, Durchfall oder Masern. Es ist also blanker Zynismus, wenn wir uns hier in Deutschland so ein Luxusdenken leisten.
Ich kann dazu nur sagen: Das Impfrisiko einer unangenehmen Reaktion, das für jeden Einzelnen bestehen kann, ist in der Regel nichts im Vergleich dazu, was die Krankheiten anrichten können, die durch die Impfung aufgehalten und hoffentlich auch dauerhaft ausgerottet werden.
Scheibe: Würde es denn noch Impfgegner geben, wenn tödliche Virenkrankheiten wie die Pocken wieder auftreten würden?
Wolf: Ich glaube tatsächlich, dass die Impfrate höher wäre, wenn das Masernvirus noch gefährlicher wäre. Von so etwas Schrecklichem wie den Pocken wollen wir mal gar nicht reden.
Scheibe: Muss eine gesetzliche Impfpflicht her – zum Wohl der Bevölkerung?
Wolf: Eine gesetzliche Impfpflicht ist ja ein sehr heißes Eisen. Fakt ist aber, dass es derartige Masernausbrüche in der DDR nicht gab. Und viel glücklicher wären wir Kinderärzte auch, wenn die Eltern sich aus Vernunft und nicht aus Zwang heraus für das Impfen entscheiden würden. Wir haben glücklicherweise aber auch viele Eltern, die jetzt in der Praxis anrufen, um ihren eigenen Impfstatus überprüfen zu lassen – und gern impfen wir auch Eltern, Großeltern und andere Familienmitglieder in unserer Praxis.
Scheibe: Wie sind denn Ihre eigenen Erfahrungen mit dem Impfen?
Wolf: Unsere Impferfahrungen sind total gut – wir sind explizit eine impffreudige Praxis. Was sicher auch damit zusammenhängt, dass ich all die schrecklichen Erreger, die wir zum Glück in Deutschland kaum noch haben, aufgrund der Herkunft meines Mannes in Kamerun immer wieder live erleben „darf“. Die Folgen sind dann schwerbehinderte Kinder nach Meningokokkeninfektionen und Gehirnhautentzündungen oder humpelnde und entstellte Kinder mit Kinderlähmung.
Aber auch die eigenen klinischen Erfahrungen hier in Berlin-Brandenburg waren prägend: Ich habe Kinder gesehen, die eine Gehirnhautentzündung mit Pneumokokken zwar überlebt haben, aber einen bleibenden Hörschaden davongetragen haben. Und kleinste Säuglinge, die an einer Keuchhusteninfektion schwerst krank wurden und über Wochen mit Sauerstoff versorgt auf der Intensivstation gelegen haben – und wo man als nachtdiensthabender Arzt stundenlang am Bett der Kinder stand und hoffte, dass sie nicht sterben würden. (Text/Foto:CS)
Info: Kinderarztpraxis Claudia Wolf, Adlerstr. 48, 14612 Falkensee, Tel.: 03322-22069, www.kinderarzt-falkensee.de
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