Uwes Kolumne: Häuslicher Zwangsarrest
Der häusliche Zwangsarrest, bedingt durch meinen lädierten Fuß, zerrte langsam an den Nerven. An den Nerven der herzallerliebsten Ehefrau von allen. Ich hatte mich inzwischen an das Bemuttern und an das Extrem-Couchsitting gewöhnt. Meine bessere Hälfte empfand mich eher als Störfaktor.
Um das Genörgel und die Küchengeräusche auszublenden, griff ich zu einer Notlösung und setzte einfach mal eine Testzeile von Nina Hagen in die Tat um: „Hach, ich schalt die Glotze an! Ist alles so schön bunt hier!“ Anschalten und einfach einmal durch die Kanäle des deutschen Bildungsfernsehens zappen.
Ich weiß gar nicht mehr, wann ich das letzte Mal den Fernseher mitten in der Woche und zwar tagsüber angemacht habe. Ja, es ist alles so schön bunt hier, aber was ist denn das bitte für ein Niveau? Schon nach kurzer Zeit reifte in mir die Erkenntnis, dass die Leute zu Recht von Volksverblödungsendgeräten sprechen.
Nehmen wir die Realityshows: Es ist ein Treffpunkt von zeigefreudigen und unreifen Leutchen, die anscheinend nichts Besseres zu tun haben, als ihre Probleme in exhibitionistischer Weise einem breiten, anscheinend voyeuristisch veranlagten Publikum zur Verfügung zu erläutern. Warum nur verschwende ich mein Leben, indem ich mir angucke, wie sich fremde Menschen in ein Haus oder in den Dschungel einsperren lassen, um dort ihre Psychosen auszuleben?
Ganz zu schweigen vom übrigen Tag. Schon ab früh morgens laufen grenzdebile Kinderserien. Wer zur Hölle setzt sein kleines Teppichungeheuer schon um 5:30 Uhr vor die Glotze, damit es etwas Teletubbywinkwinke machen kann? Oh Oh.
Dann doch lieber der Standpauke der Frau lauschen, weil man mal wieder die Socken nicht entkrempelt in die Wäsche geworfen hat. Um auf andere Gedanken zu kommen, kramte ich meine Fernseherinnerungen aus den Hirnwindungen, natürlich in schwarz-weiß.
„Ich glotz von Ost nach West“, heißt es in Ninas TV Glotzer Song. Stimmte damals sogar. Als Westberliner konnten wir fünf Sender empfangen, inklusive DDR-Fernsehen. Das war die Zeit, in der es noch ein Testbild gab. Der Fernsehkonsum war durch den Sendeschluss reglementiert.
Für mich gab es als Kind nur wenig Programme und Sachen, die ich gucken durfte. Etwas Dick und Doof, etwas Schweinchen Dick oder am Sonntag die „Flimmerstunde mit Besuch im Märchenland“, aber nur, wenn es regnete.
Nix Kabelfernsehen oder Satellit. Die Antenne auf dem Dach war angesagt und die verstellte sich mitunter. Dann schneite es im Fernsehen. Beim Neu-Ausrichten war die ganze Familie involviert. Dann musste Vati aufs Hausdach und die Antenne bewegen. Die richtige Position wurde gefunden, indem der Rest der Familie Anweisungen gab und dabei den Bildschirm beobachtete. Die Bewegungen meines Vaters erinnerten dabei etwas an einen modernen Ausdruckstanz. „Schlecht, jetzt schneit es, kein Ton, ja, noch ein bisschen besser, jetzt ist gut, jetzt wieder verzerrt, nein, zurück.“
Nach etwa zwei Stunden konnte man sich dann gemeinschaftlich wieder vor die Glotze setzen und gemeinsam „Der große Preis“ oder „Dalli Dalli“ sehen. Das war spitze! Bis zu dem Tag, als auch das Verstellen der Antenne überhaupt nicht mehr geholfen hat. Die Röhre blieb dunkel, kein Ton, nur leichtes Knistern drang aus dem Monolautsprecher. Der eiligst herbeigerufene Fernsehtechniker tauschte eine Verstärkerröhre aus, es war noch ein altes Röhrengerät ohne Transistoren, und der Fernsehabend war gerettet. Trotzdem beschloss mein Vater, dass die Tage der alten Glotze nun gezählt waren.
Die Neuanschaffung war ein Grundig Gerät mit Transistoren und, tata, mit Farbe. Ab sofort gab es den rosaroten Panther in Farbe, auch Daktari und andere Serien bekamen nun endlich Coleur. Das eröffnete neue Perspektiven. Mit dem Einzug des Technicolor in unser Haus begann auch mein gesellschaftlicher Aufstieg in der Nachbarschaft. Fortan hatte ich reichlich Besuch, vor allem, wenn unsere Lieblingsserie lief – Raumschiff Enterprise. Viel Spaß und Gemeinschaft – und alles ohne HD und Dolby Surround. (Uwe Abel, Foto: Maike Abel)
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