Von Syrien nach Falkensee: Yazan auf der Flucht
Mohammad Yazan Al-Halabeah ist 21 Jahre jung. Alle seine Freunde nennen ihn aber nur kurz Yazan. Yazan ist fröhlich, neugierig, kontaktfreudig. Er kleidet sich sehr bedacht und mit Stil, hört House-Musik, geht so oft es geht ins Fitnessstudio und spielt gern Tennis. In Falkensee ist er auf der Open stage in der Elsterklause anzutreffen, er spielt Fußball und er kocht privat bei und mit den Menschen, die er bereits im Ort kennengelernt hat.
Trifft man ihn zum ersten Mal, würde man nie denken, dass Yazan ein Flüchtling ist. Er spricht fließend Englisch, lernt die ersten Brocken Deutsch und hat keinerlei Berührungsängste.
Eine Stunde mit Yazan reicht aus und man denkt: Das, was man sich im Kopf zum Thema Flüchtlinge zurecht gelegt hat, hat nicht immer zwingend etwas mit der Realität zu tun. Also lohnt es sich, einmal nachzufassen.
Yazan ist in Damaskus geboren worden. Damaskus ist eine der ältesten Städte der Welt – und die Hauptstadt von Syrien. Seitdem 2011 der Bürgerkrieg in Syrien ausgebrochen ist, gehört auch Damaskus zu den umkämpften Regionen im Land. Yazan ist in Damaskus aufgewachsen und hat vor Ort Tourismusmanagement an der Universität studiert. In diesem Zusammenhang hat er trotz seiner jungen Jahre bereits viele Länder bereist, so auch die Türkei, Ägypten, den Libanon und sogar Österreich.
Warum also hat er seine Zukunft in Syrien aufgegeben, um sein Schicksal als Flüchtling in die Hände anderer zu geben? Yazan: „Die Universität, in der ich in Damaskus studiert habe, gibt es nicht mehr. Unser Haus, in dem unsere Familie gewohnt hat, gibt es nicht mehr. Alles ist kaputt und zerstört, der Krieg ist überall. In Damaskus zu bleiben, ist inzwischen lebensgefährlich. Es gibt dort keine Zukunft mehr. Jeder, den ich kenne, hat auf die eine oder andere Weise schwere persönliche Verluste erlitten. So viele Menschen, die man kennt, sind inzwischen tot. Mein Onkel und mein einer Cousin leben nicht mehr. Es gibt so viele Menschen und Freunde aus der Nachbarschaft, von denen wir nicht einmal wissen, ob sie überhaupt noch leben. Ich bin mit meinem Bruder und mit meinem anderen Cousin aus Syrien geflohen, weil ich eine Chance haben möchte, mein Leben zu leben.“
Dass es für die Deutschen ungewohnt und unbequem ist, plötzlich mit einem fernen Krieg und seinen flüchtenden Opfern konfrontiert zu werden, kann Yazan völlig verstehen: „Als im Iran der Krieg ausgebrochen ist, strömten die iranischen Flüchtlinge auch nach Syrien. Uns ging es damals gut. Wir konnten damals auch nicht nachvollziehen, wie schnell ein Krieg den Menschen alles nehmen kann, bis ihnen nur noch die Flucht bleibt, um das nackte Leben zu retten.“
Vier bis fünf Monate hat die Flucht von Yazan von Syrien nach Deutschland gedauert. Die letzten paar hundert Kilometer von Griechenland nach Deutschland haben er, sein Bruder und der Cousin komplett zu Fuß zurückgelegt.
In Damaskus hat Yahan regelmäßig das Fitnessstudio besucht. Von Sixpack und Muskelpaketen sei allerdings nach dem langen Marsch nicht mehr viel übrig, auf dem Weg nach Deutschland habe er extrem abgespeckt. Auch seine geliebten Drumsticks habe er auf dem Weg verloren. Als versierter Drummer natürlich eine echte (kleine) Katastrophe.
Wir fragen, ob er auf seiner Flucht Hilfe von den Menschen erhalten habe – in den Ländern, die er zu Fuß durchquert hat. Yazan: „Eigentlich nicht. Wir sind aber auch vor allem in der Nacht unterwegs gewesen, sodass wir wenig Gelegenheit hatten, Kontakt mit der lokalen Bevölkerung aufzunehmen.“
Yazan ist seit über drei Monaten in Falkensee. Er ist in der Unterkunft in der Kremmener Straße untergekommen – zusammen mit etwa 60 Flüchtlingen. Er sagt: „Die Menschen in der Unterkunft stammen nicht nur aus Syrien, sondern auch aus Eritrea, aus Nigeria, aus Kamerun und aus dem Iran. Auch wenn es viele Unterschiede bei uns gibt, was die Herkunft, den Bildungsstand und auch die Religion anbelangt, so versuchen wir, wie eine Familie zusammenzuhalten und einander zu helfen. Nicht jeder kann Englisch sprechen, dann sind andere von uns da, um zu übersetzen. Einige von uns haben bereits gute Kontakte zur Bevölkerung in Falkensee. Wir können den anderen vermitteln, wie man sich hier benimmt und wie man sich eingliedert.“
Mit Falkensee und der Bevölkerung hat Yazan bislang nur gute Erfahrungen gesammelt: „Wir erhalten so viel Hilfe und Unterstützung. Egal, um was es geht, es ist immer jemand da, der uns bei den Behördengängen hilft, der dringend benötigte Dinge besorgt oder der uns die Möglichkeit gibt, erste Schritte in Falkensee zu gehen. Vor allem der Fußball ist eine tolle Weise, damit die Menschen sich besser kennenlernen. Ich möchte gern für den Rest meines Lebens in Falkensee bleiben, denn ich kann mir nicht vorstellen, dass es noch eine andere Stadt in Deutschland gibt, in der ich mich so willkommen fühlen würde.“
Yazan ist inzwischen über drei Monate vor Ort, er darf jetzt arbeiten gehen und einer Beschäftigung nachgehen, so sagt er. Seine Eltern dürften inzwischen aus Syrien nachgereist und in Deutschland eingetroffen sein, sodass die ganze verbleibende Familie wieder beisammen ist.
Trotz dieser Familienzusammenführung denkt Yazan weiter über seine bestmögliche Integration nach: „Jetzt muss ich natürlich so schnell wie möglich Deutsch lernen und nach dem richtigen Kurs suchen. Die Kurse, die uns angeboten werden, bringen uns vor allem auf die Schnelle häufig benötigte Floskeln und Sätze bei. Ich suche aber nach einem Kurs, der mich die Sprache von Grund auf lehrt, also beginnend mit den Buchstaben und den Zahlen. Eben wie in der Schule. Ich verstehe aber jetzt schon viele deutsche Wörter und kann bei einer deutschen Unterhaltung wenigstens zuhören.“
Eine Sache ist Yazan ganz besonders wichtig – und das ist die Musik. Der junge Syrier würde gern als Trance-DJ nicht in Clubs, sondern viel lieber auf Musikfestivals wie etwa dem TomorrowLand auflegen. Hier ist die Nähe zur Techno-Hochburg Berlin natürlich ein echter Gewinn.
Bei diesem besonderen Thema steht Yazan ein Falkenseer zur Seite: Axel Zabel. Der Vollblutmusiker („House of Pain“), der in seinem Leben bereits mit vielen großen Bands auf Tour war und der zuletzt das „Falkensee-Lied“ geschrieben hat, hat Yazan ein wenig unter seine Fittiche genommen und unternimmt vieles gemeinsam mit dem Vorzeige-Flüchtling. Axel Zabel: „Wir machen viel Musik zusammen. Zwei Trance-Songs haben wir bereits aufgenommen, ein dritter ist kurz vor der Fertigstellung. Und ein paar weitere Songs sind bereits in der Mache.“
Die Songs im Stil von Armin van Buuren sind seit kurzem auf Soundcloud unter dieser Adresse zu hören: https://soundcloud.com/yazan-al-halabeah. Axel Zabel: „Wir experimentieren zusammen viel in Richtung Klassik-Trance. Er kümmert sich um die elektronischen Parts und ich stelle mich daneben und spiele auf der Gitarre.“
Wie soll es nun weitergehen mit Yazan? Er sagt: „Ich würde mich freuen, wenn ich für immer in Deutschland bleiben könnte. Über eine Einbürgerung und eine doppelte Staatsbürgerschaft würde ich mich auf lange Sicht freuen. Ich würde mich gern meiner Musik widmen und auf diese Weise vielleicht mein Geld verdienen. Ich würde gern mehr Spiele mit meinem Lieblingsverein FC Barcelona und meinem Lieblingsspieler Messi sehen. Und auf meiner persönlichen ToDo-Liste fehlt noch eins – ein Fallschirmsprung aus einem Flugzeug.“ (Text/Fotos: Carsten Scheibe)
Anmerkung der Redaktion: Das Porträt von Yazan soll vor allem eins zeigen – dass es sich bei den Flüchtlingen um Menschen handelt. Mit Wünschen, Hobbies, Zukunftsplänen und Talenten. Das ist in erster Linie wichtig – und vielleicht ein Anreiz, den neuen Bürgern eine Chance zu geben.
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