Döberitzer Heide: Der Natur auf der Spur
Die Sielmanns Naturlandschaft Döberitzer Heide bietet auf 4.000 Hektar Fläche viel Platz für unzählige, oft genug sehr seltene Pflanzen- und Tierarten. Dr. Hannes Petrischak nahm am 27. August 40 interessierte Bürger mit auf Insektenschau. In der Döberitzer Heide gehen viele Havelländer und Berliner gern spazieren.
Es gibt ja auch 55 Kilometer Wanderwege, die durch das Biotop führen. Die meisten Besucher achten bei ihrem Spaziergang nur auf das große Ganze – und nehmen die vielen seltenen Tier- und Pflanzenarten im Biotop gar nicht bewusst wahr. Wie auch? Weder in der Schule noch in den Medien werden die Vertreter der einheimischen Fauna oder Flora besonders behandelt und vorgestellt.
Dr. Hannes Petrischak (43) schafft einen kleinen Ausgleich. Der Biologe, der in Kiel studiert und seine Doktorarbeit über die Schmetterlinge in Costa Rica geschrieben hat, ist inzwischen Leiter des Geschäftsbereichs Naturschutz in der Sielmann Stiftung.
Der Falkenseer sagt: „In der Döberitzer Heide haben wir einen sehr sandigen und sehr nährstoffarmen Boden. Das begünstigt die Artenvielfalt. 300 Jahre lang war die Heide außerdem Truppenübungsgelände für das Militär. Insofern reduzieren sich hier die menschlichen Eingriffe auf ein Minimum – und wir finden Arten vor, die es sonst in ganz Deutschland nicht mehr gibt.“
Der Biologe wies auch darauf hin, dass zu viele Nährstoffe im Boden schnell dazu führen, dass bestimmte Pflanzen wie der Löwenzahn alle anderen Pflanzen verdrängen, sodass es zu einer Artenverarmung kommt. Auf bestimmte Wirtspflanzen angewiesene Insekten finden so keinen Lebensraum mehr. Dr. Petrischak: „Wir beobachten in vielen Naturschutzgebieten bereits eine unerwünschte Nitratdüngung über die Luft.“
40 Personen hatten sich Ende August an einem sonnigen Sonntagvormittag in Elstal eingefunden, um zwei Stunden lang mit dem Biologen durch die Döberitzer Heide zu pirschen. Auch viele Kinder waren mit dabei. Ausgestattet mit Kescher und Becherlupe suchten sie unter der Aufsicht des Biologen nach Insekten am Wegesrand, um bei einem Fang sofort das Wissen des Biologen anzuzapfen.
Verlassen werden durften die offiziellen Wege trotz des biologischen Auftrages nicht: Aufgrund der zuvor militärischen Nutzung des Areals gelten nur die Wege als sicher beräumt.
Aber selbst so ein einfacher Fund wie der Marienkäfer brachte interessante Erkenntnisse zutage. Denn der Marienkäfer trägt sein Signalrot nicht zu Unrecht. Bei Gefahr schwitzt der Käfer eine gelbe, giftige Flüssigkeit aus, die Vögel eklig finden, sodass sie den Käfer wieder auswürgen.
Am auffälligsten beim Spaziergang waren die vielen Heuschrecken, die zu Dutzenden auf den Wegen, aber auch im Gras zu finden waren – hier vor allem die kleinen Kurzfühlerschrecken. Dr. Petrischak: „Selbst Experten haben Probleme damit, manche Kurzfühlerschrecken voneinander zu unterscheiden. Zum Glück ist der Gesang spezifisch für einzelne Arten, sodass die Artenbestimmung hier mit dem Ohr stattfindet. Kurzfühlerschrecken erzeugen übrigens ihren Gesang, indem sie die Hinterbeine an den Flügeln entlanggleiten lassen.“
Ein echter Profiteur der Heuschreckenflut ist die Zauneidechse. Sie vermehrt sich in der Döberitzer Heide sehr gut und ist oft am Wegesrand auszumachen. Auch die Waldeidechse gibt es im Heidekraut. Dr. Hannes Petrischak: „Das Gelände ist eigentlich wie gemacht für die Kreuzotter. Früher wurden aber Prämien für jede erschlagene Kreuzotter gezahlt, sodass diese Schlange in der Region ausgerottet ist. Wir stoßen in feuchten Lagen nur noch ab und zu auf die harmlose Ringelnatter.“
Was ist eigentlich die Entsprechung zur Kurzfühlerschrecke? Richtig, die Langfühlerschrecke. Vertreter wie das Heupferd oder Roesels Beißschrecke haben Fühler, die länger sind als der ganze Körper des Tieres. Sie erzeugen ihren Gesang, indem sie die Flügel aneinanderreiben, die Hinterbeine werden hier nicht eingesetzt.
Die auffälligste Langfühlerschrecke der Döberitzer Heide konnte leider nicht aufgespürt werden. Das wäre der fingerlange Warzenbeißer gewesen, mit dessen wuchtigen Mandibeln sich Menschen tatsächlich früher die Warzen haben abbeißen lassen. Immerhin zeigte sich die blauflüglige Ödlandschrecke. Sie sitzt gut getarnt mitten auf den sandigen Wegen. Sie fliegt erst davon, wenn die Spaziergänger ganz nah an ihrem Sonnenplatz vorbeilaufen. Dann zeigt sie aber leuchtend hellblaue Flügel – ein eindrucksvolles Bild.
In der Döberitzer Heide trifft der Insektenfreund auch immer wieder auf solitäre Bienen. Sie bilden keine Staaten wie die Honigbiene, sondern bleiben für sich allein. Die Weibchen graben Löcher in der Erde und versorgen hier oft nur eine Larve.
Dr. Hannes Petrischak: „Wir finden hier bei uns einige sehr kleine Wildbienenarten vor, die sich ganz auf das Heidekraut spezialisiert haben. Wie etwa die Heidekraut-Sandbiene. Die Solitärbienen sind allesamt nicht aggressiv. Sie haben zwar einen Stachel, aber er ist mitunter so fein, dass er nicht durch die menschliche Haut dringt.“
Vor mehreren sandigen Löchern im Boden bleibt der Experte stehen. Er vermutet hier das Wirken eines Bienenwolfs. Das ist eine recht große schwarzgelbe Grabwespe, die Jagd auf Bienen macht und diese dann betäubt zusammen mit einem Ei in den Erdgängen ablegt.
Besonders beeindruckend – die Hosenbiene. Dr. Hannes Petrischak: „Sie hat lange Härchen an den Hinterbeinen, um mit ihnen den Pollen zu sammeln. Oft bleibt hier so viel Pollen hängen, dass die Beute oft schwerer ist als die Biene selbst. Das sieht aus, als ob die Bienen eine Hose anhaben.“
Und die Gäste der Exkursion erfuhren, dass das stärkste Insektengift das der Honigbiene ist. Selbst Wespen und Hornissen müssen da hintenan stehen. Dafür bezahlt eine Honigbiene einen Stich mit dem Tod, da der Stachel mit einem Widerhaken versehen ist. Bleibt der Stachel in der Haut der Menschen stecken, reißt sich die Biene bei einem anschließenden Fluchtversuch nicht nur den Stachel, sondern auch die Giftdrüse mit heraus.
Vor allem Dank der neugierigen Kinder konnte die Exkursionstruppe auch einen Balkenschröter als kleinen Verwandten des Hirschkäfers aufstöbern, Mistkäfer im Flug beobachten, der Wasserwanze in einer Pfütze nachspüren, Schwebfliegen kennenlernen, den Kleinen Feuerfalter sehen und weitere Grabwespen bei der Insektenjagd observieren.
Bei schönem Wetter konnten sehr viele Insekten aufgespürt werden, man musste nur einen Blick für die sechsbeinigen Krabbler entwickeln. Ein Experte wie Dr. Hannes Petrischak ist auf allen Exkursionen zwar sehr hilfreich, bei Ausflügen auf eigene Faust reicht aber schon ein Bestimmungsbuch aus, wie es in jedem Buchhandel zu bestellen ist.
Dr. Hannes Petrischak: „Leider ist es so, dass es den in der Presse oft zitierten Rückgang der Insekten wirklich gibt. Dabei geht es nicht nur um die Arten, sondern auch um die reine Biomasse. In den letzten 20 Jahren sind 80 Prozent der Insekten verschwunden. Fahren Sie heute mal mit dem Auto über das Land. Früher war die ganze Frontscheibe anschließend voller toter Insekten. Das ist heute nicht mehr so. Da viele Vögel wie etwa der Mauersegler von fliegenden Insekten leben, ist es nicht verwunderlich, dass auch ihr Bestand zurückgeht.“
Justin Kohn (23) aus Falkensee war sehr angetan von der Führung: „Ich wusste bislang wenig über Insekten, habe aber sehr viel gelernt auf der Exkursion. Da ich sehr gern fotografiere, habe ich die Kamera mitgenommen und einige sehr schöne Motive einfangen können, darunter auch eine große Wespenspinne.“ (Text / Fotos: CS)
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