Schönwalde-Siedlung: 57 Jahre Mauerbau
Am 13. August 1961 war die Mauer plötzlich zu. Sie trennte West-Berlin von der Osthälfte der Stadt und vom gesamten Umland. Familien wurden auseinandergerissen, Menschen verloren ihre Arbeitsstelle – und ein halbes Volk war plötzlich eingesperrt. Über zweihundert Menschen verloren an der Grenze, dem sogenannten Todesstreifen, sogar ihr Leben. Heute ist Deutschland wiedervereinigt.
Und am 57. Jahrestag zum Bau der Berliner Mauer darf man erleichtert feststellen, dass die Mauer bereits ein Jahr länger nicht mehr existiert, als sie in Beton und Eisen gestanden hat. Doch ist dies ein Grund, die Mauer als historische Fußnote abzuhaken und zum Tagesgeschäft überzugehen? Auf keinen Fall. Meint jedenfalls Bodo Oehme, Bürgermeister von Schönwalde-Glien. Er ist im Schatten der Mauer aufgewachsen und weiß aus erster Hand, wie das war, so nah an der Grenze zu sein. Zur Gedenkfeier, die er einmal im Jahr am Denkmal zum Mauerfall direkt an der damaligen Grenze „Steinerne Brücke“ veranstaltet, erinnerte er noch einmal: „Hier, wo wir jetzt gemeinsam stehen und dem Mauerfall gedenken, wäre damals niemand lebend hingekommen. Im Gegenteil: In Schönwalde-Glien haben zwei Menschen an der Grenze ihr Leben verloren – Ulrich Steinhauer und Dietmar Schwietzer.“ Ulrich Steinhauer wurde von seinem Streifenpartner, der in den Westen fliehen wollte, in den Rücken geschossen. Auf Dietmar Schwietzer wurden 91 Schuss abgegeben. Oehme: „Das sind mehr als drei Magazine aus der Kalaschnikow.“
Bodo Oehme, der mit großem Nachdruck und mit deutlichen Worten dafür einsteht, dass der Mauerbau nicht in Vergessenheit gerät, sagte vor etwa 90 Gästen der Gedenkveranstaltung: „Ich bin in Schönwalde an dieser innerdeutschen Grenze aufgewachsen. Für mich ist diese Steinerne Brücke, dieser Flecken Erde in Schönwalde-Siedlung, der Inbegriff der Teilung Deutschlands. Viel Leid hat die Mauer in viele Familien gebracht. Betrogen wurden die Menschen – um wertvolle Jahre ihres Lebens. Die, die die Mauer errichten ließen, haben dieses Leid bewusst über ihre Bürger gebracht. Wer übernahm die Verantwortung dafür? Keiner von denen, die sie errichten oder ausbauen ließen. Stattdessen wurden die Soldaten, die Befehlsempfänger, vor Gericht gestellt.“ Den Worten des Bürgermeisters lauschten seine Amtskollegen Wilhelm Garn (Bürgermeister von Brieselang) und Jürgen Hemberger (Bürgermeister von Dallgow-Döberitz). Staatssekretärin Ines Jesse war ebenfalls vor Ort, aber auch die Landtagsabgeordnete Barbara Richstein und Elke Nermerich als 1. Beigeordnete im Landkreis Havelland.
Helmut Kleebank als Bezirksbürgermeister von Berlin-Spandau stellte sich ebenfalls an das Rednerpult und ergänzte: „Wie schlecht muss es einem Regime gehen, um solche Anstrengungen zu unternehmen, nur um die eigenen Bürger von der Flucht abzuhalten? Man muss bedauern, dass es so lange gedauert hat, bis diese Konstellation beendet wurde. Dass dies so gewaltfrei passiert ist, ist ein Wunder der deutschen Geschichte.“
Als dritter Redner trat Finn Petersen ans Mikrofon. Er war extra für die Gedenkveranstaltung als Bürgermeister von Süderschmedeby bei Flensburg angereist. Dieser westdeutsche Ort ist über eine Partnerschaft der Feuerwehr mit Schönwalde-Glien OT Grünefeld verbunden. Petersen: „Nur, wer die Vergangenheit kennt, wird die Zukunft positiv gestalten können. Ich habe als Bürgermeister, der den älteren Bürgern in der Gemeinde zum Geburtstag gratuliert, viele Zeitzeugen getroffen und viele Berichte zur Mauer aus erster Hand erfahren.“ Bodo Oehme wünschte sich ganz in diesem Sinne sehr, dass die Aufarbeitung der deutschen Geschichte in der Schule noch deutlich intensiver betrieben wird: „Vor allem die jungen Menschen in Deutschland müssen sich für die Geschichte der Mauer interessieren, um in der Zukunft zu mahnen und dazu beizutragen, dass sich ähnliche Fehler und geschichtliche Entwicklungen nicht wiederholen.“
Oehme informierte die Besucher der Veranstaltung darüber, dass er auch im kommenden Jahr erneut wieder mit Interessierten aus der Politik, der Wirtschaft und der Nachbarschaft zu einer dreitägigen Radtour aufbrechen wird, um dem ehemaligen Mauerverlauf zu folgen und aktive Recherchen in punkto deutsch-deutsche Geschichte zu unternehmen.
Die Veranstaltung an der „Steinernen Brücke“ war aber auch anberaumt zum Gedenken an alle Opfer der Mauer, die eingesperrt wurden, Repressalien erlitten oder starben. Bodo Oehme: „Auch 29 Jahre nach ihrem Fall sind die Narben, die diese innerdeutsche Grenze im Leben vieler Menschen hinterlassen hat, noch nicht verheilt: Wegen ihr verlor so mancher seine Familie, seine Arbeit oder sogar sein Leben. Wir wollen an diesen schwarzen Tag in der Geschichte Deutschlands erinnern und ihn gleichzeitig der Nachwelt in Erinnerung rufen.“
Am Ende der Veranstaltung wurden Kränze niedergelegt. In einer Schweigeminute gedachte man gemeinsam den Opfern der Mauer. (Text/Fotos: CS)
Dieser Artikel wurde in „FALKENSEE.aktuell – Unser Havelland“ Ausgabe 150 (9/2018) veröffentlicht.
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