30 Jahre Mauerfall – Zeitzeugen 4 – Lecker Ostbrötchen
In diesem Jahr feiern wir 30 Jahre Mauerfall. Wir nutzen die Gelegenheit und lassen Zeitzeugen zu Wort kommen, die sich an die Zeit vor dem Mauerfall und an die Zeit unmittelbar danach erinnern. In unserer vierten Folge berichtet Klaus-Dietrich Giede. Der Falkenseer Bäcker trumpfte zu Wendezeiten mit seinen „Ostbrötchen“ auf.
Klaus-Dietrich Giede ist inzwischen der Senior in der Bäckerei Giede, die in Falkensee die Backstube mit Verkaufsraum in der Spandauer Straße und eine Filiale in der Adlerstraße betreibt. Klaus-Dietrich Giede zieht sich zunehmend aus dem Geschäft zurück, Sohn Andreas übernimmt.
Klaus-Dietrich Giede: „Zu DDR-Zeiten gab es sieben oder acht Bäckereien in Falkensee. Heute sind es ja nur noch drei ortsansässige Bäcker. Als ich noch jung war, gab es echt ein Problem in unserer Bäckerei. Mein Vater Klaus war so erfolgreich mit seinen Backwaren, dass er immer mehr Verkäuferinnen einstellen musste. Die Falkenseer standen – vor allem in den Sommerferien, da ist niemand weggefahren – morgens vor dem Bäcker bis zur Straße an. Das Problem war nur, dass die Anzahl der Mitarbeiter vom Staat vorgeschrieben war. Mit zehn Angestellten galt man schon als kriminell. Da drohte bereits die Enteignung und die Umwandlung in einen volkseigenen Betrieb. Die Gefahr dabei: Eben ist man noch Besitzer und plötzlich nur noch Betriebsleiter. Zugleich wurde in Nauen ein Backwarenkombinat gegründet, um die Region großflächig mit Brötchen und Broten zu versorgen. Parallel dazu wurden neue Gewerbegenehmigungen im Bäckerbereich nicht mehr erteilt. In dieser Situation habe ich mich gefragt: Gehe ich jetzt für 500 Mark im Monat in einen VEB oder mache ich etwas ganz anderes? Ich habe dann Zerspaner und Werkzeugmacher gelernt, anschließend war ich 77/78 in der Armee. In dieser Zeit gab es Probleme um das Backwarenkombinat: Die sind mit der Logistik und der Qualität der Backwaren überhaupt nicht klargekommen. Es gab plötzlich nur noch große Betriebe in der DDR – kleine Handwerkerbetriebe, die die Menschen versorgen, waren außen vor. Da hat man gegengesteuert und neue Gewerbegenehmigungen erteilt. Sogar zinslose Kredite gab es. Mein Vater hat gesagt: Wir investieren noch mal. Ich habe dann Bäcker gelernt und auch den Meister gemacht. Im Januar 89 habe ich den Betrieb übernommen.“
Januar 89: Das war ja bereits kurz vor der Wende. Was passierte danach?
Klaus-Dietrich Giede: „Die Wende hat natürlich alles auf den Kopf gestellt. Die Falkenseer sind nach Spandau gefahren, um zu schauen, wie die Brötchen da schmecken. Aber zugleich sind die Spandauer und Berliner mit dem gleichen Gedanken zu uns gekommen. Wir haben ja noch ganz anders Brötchen gebacken, ohne Zusatzstoffe, mit einer anderen Rezeptur und mit einer längeren Teigruhe, was die Brötchen bekömmlicher und aromatischer macht. Die West-Berliner konnten diese Brötchen aber nicht benennen. ‚Schrippe nach alter Rezeptur‘ – das klang nicht gut. In einer lustigen Minute hatte Ingolf Reichelt die passende Idee: ‚Komm, wir nennen das Ostschrippe‘. Er hat mir zwei Schilder gemacht, die hängen heute noch im Laden. Seitdem gibt es bei uns die Ostschrippe – ein Bestseller.“
Inzwischen beliefert die Bäckerei Giede auch den Flughafen Tegel mit frischen Brötchen. Schon Präsident Obama hat Falkenseer Brötchen verputzt. Klaus-Dietrich Giede erinnert sich: „Einmal haben wir im Winter Kuchen geliefert. Das musste ganz schnell gehen. Ein Scheich war mit seinem Flugzeug in Berlin gelandet, ein Geschäftstermin war geplatzt, und jetzt wollte er vor dem Rückflug wenigstens noch etwas essen. Den von uns mitgelieferten Stollen fand er anscheinend ganz besonders lecker. Denn mitten im Sommer kam der Anruf aus Tegel: Du, der Scheich ist wieder da. Und er möchte jetzt einen Stollen essen. Also haben wir rasch die Zutaten besorgt und dem Scheich einen Stollen gebacken.“
Und: „Viele alte Spandauer kommen ursprünglich aus Ostpreußen. Wie mein Vater. Viele haben noch den Geschmack von früher auf der Zunge und sagen bei unserem Mohnkuchen: Mensch, das schmeckt ja wie früher in Königsberg.“ (Text/Foto: CS)
Dieser Artikel stammt aus „FALKENSEE.aktuell – Unser Havelland“ Ausgabe 161 (8/2019).
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