Azubis gesucht: Die Kreishandwerkerschaft sieht einen riesigen Bedarf!
Das Handwerk hat ein großes Problem. Ganz egal, ob es um die Maler, die Bauunternehmer, die Elektrobetriebe, das Kraftfahrzeuggewerbe, die Metallbauer, die Tischler, die Installateure, die Bäcker oder die Fleischer geht – sie alle sind dringend auf fachlich versierte Mitarbeiter angewiesen. Doch der Markt ist wie leergefegt.
Das wissen auch die Verantwortlichen von der Kreishandwerkerschaft Havelland, die sich um die Interessenvertretung der Handwerksbetriebe kümmert. Wir sprachen mit dem Geschäftsführer Rainer Deutschmann und dem Kreishandwerksmeister Michael Ziesecke über das brandaktuelle Thema.
Michael Ziesecke: “Wir haben einen brutalen Facharbeitermangel. Schon jetzt ist es so, dass auf einer Baustelle auf einen Facharbeiter bis zu 50 ungelernte Helfer kommen. Der Bedarf an gelernten Kräften ist gewaltig. Eine Lösung kann sein: Wir Betriebe bilden unseren Nachwuchs einfach selbst aus und sorgen so für neue Fachkräfte. Ärgerlich ist nur, dass ein Student seine Ausbildung vom Staat bezahlt bekommt, während wir Betriebe die Ausbildung komplett aus eigener Kraft finanzieren müssen.”
Rainer Deutschmann: “Wir haben das Problem, dass immer mehr Schüler ihr Abitur machen und dann auch studieren wollen. Diese jungen Arbeitskräfte fehlen uns aber im Handwerk. Zum Glück steigen die Geburtenraten wieder. Wir merken, dass die Kurve nach oben zeigt: Wir bilden im Handwerk heute wieder mehr Azubis aus als vor fünf Jahren.”
Michael Ziesecke: “Die Digitalisierung hat im Handwerk für einen großen Einbruch gesorgt. Mit der Computertechnik sind viele neue Berufe entstanden, die es vor 30 Jahren noch nicht gegeben hat. Das merkt man auch in den Schulen, wenn die Heranwachsenden sagen, dass sie einmal Fachinformatiker werden möchten.”
Die Kreishandwerkerschaft weiß: Es muss etwas dafür getan werden, dass die Handwerksberufe wieder und weiter an Attraktivität gewinnen. Michael Ziesecke: “Im Handwerk schaffen wir etwas mit unseren eigenen Händen. Etwas, auf das wir stolz sein können. Das ist doch etwas ganz Besonderes. Man darf auch nicht vergessen, dass das Handwerk inzwischen sehr krisensichere Arbeitsplätze schafft. Ganz egal, ob Finanzkrise oder Corona: Das Handwerk hat in beiden Krisen fast unbeeindruckt weitergearbeitet. Hinzu kommt, dass es in den Firmen flache Strukturen gibt und man schnell aufsteigen kann. Viele Betriebe finden auch keinen Erben oder Nachfolger in der Familie, sodass Mitarbeiter nicht selten die Chance erhalten, ihren Betrieb einmal zu übernehmen.”
Rainer Deutschmann: “Seit 15 Jahren fahren wir ja bereits eine Image-Kampagne für das Handwerk. Bereits Kinder, Jugendliche und Heranwachsende müssen verstehen: Das Handwerk macht Spaß und könnte für jeden und jede von ihnen eine tolle Zukunft darstellen. Wir sind dazu übergegangen, in Kooperation mit dem Land, dem Bund und der Arbeitsagentur in allen 7. Klassen der weiterführenden Schulen sogenannte Berufswahlpässe zu verteilen. Das sind Ordner, die während des Schulwerdegangs dabei helfen, Zeugnisse, Praktikaberichte und Potenzialanalysen zu sammeln. Auch die eigenen Hobbies und die niedergeschriebene Lebensplanung finden hier Eingang. Am Ende setzt sich ein Berufsberater mit den jungen Leuten zusammen und wertet den Berufswahlpass aus. So wird sichergestellt, dass die Jugendlichen eine bessere Entscheidung für ihre Zukunft treffen. Denn es gibt 330 duale Ausbildungsberufe und 130 schulische. Sich in diesem gewaltigen Angebot zu orientieren, das ist sehr schwer. Die Konsequenz: Ein Drittel aller Azubis brechen ihre erste Ausbildung wieder ab, weil sie einfach nicht das Richtige war. Wir haben den Berufswahlpass vor zehn Jahren im Havelland angestoßen. Inzwischen gibt es ihn in ganz Brandenburg und nun sogar im ganzen Land.”
Michael Ziesecke: “Ich sehe die Zukunft in Schulen, die langfristige Projektarbeiten in Kooperation mit lokalen Unternehmen anstoßen. Wenn Schüler zusammen mit Firmen an konkreten Aufgaben arbeiten, dann lernen sie oft viel Nützliches für ihre Zukunft und bekommen eine Idee davon, wo ihre eigene berufliche Reise vielleicht einmal hingehen kann.”
Rainer Deutschmann: “In Rathenow gibt es eine Schule, die sehr berufs- und praxisorientiert arbeitet. Sie wurde erst von den Eltern gemieden. Hier hat aber ein Umdenken stattgefunden. Viele Eltern haben inzwischen verstanden, was das für Chancen für ihre Kinder bietet. Denn die Schule kann auf über einhundert Partnerfirmen zurückgreifen, wenn es um Praktika für die Schüler geht. Und oft kommen diese Betriebe in der 9. Klasse bereits mit Lehrverträgen und locken mit einer Ausbildung nach der 10. Klasse. Längst ist die Nachfrage nach einem Platz in dieser Schule so gestiegen, dass Jahr für Jahr ein Aufnahmestop verhängt werden muss.”
Michael Ziesecke: “Was uns bei der Ausbildung der Azubis immer wieder auffällt, ist leider die stark schwankende Qualität in grundlegenden Dingen. Manche Jugendliche schreiben ihr Berichtsheft abends noch einmal sauber ab, damit es auch ja ordentlich ist. Es gibt aber auch Azubis, die tatsächlich nicht schreiben können, sodass die Freundin das Berichtsheft für sie führt.”
Rund um das Handwerk gibt es auch noch echte Überraschungen. Wer hat schon einmal vom Deutschen Qualifikationsrahmen, kurz DQR (www.dqr.de), gehört? Dabei handelt es sich um acht Kompetenzniveaus, denen sich die Qualifikationen des deutschen Bildungssystems zuordnen lassen.
Michael Ziesecke: “Wer eine Ausbildung absolviert hat, bekommt das DQR-Level 4. Wer studiert, ist bei einer 6, für den Master gibt es eine 7, für den Doktor die 8. Das funktioniert auch mit dem Handwerk. Wer etwa in meinem Betrieb eine Ausbildung zum Metallbauer macht und zusätzlich noch eine Ausbildung zum Betriebswirt des Handwerks absolviert, bekommt den DQR-Level 5 zugewiesen. Wer den Meister ablegt, ist bereits bei Level 6 und dem Bachelor gleichgestellt – und darf in Deutschland weiter studieren, auch wenn er nie zuvor ein Abitur abgelegt hat. Das wissen die wenigsten.”
Michael Ziesecke bildet in seinem Falkenseer Betrieb “Metallbau Ziesecke” (www.schlosserei-ziesecke.de) zurzeit zwei Azubis aus: “Mehr geht nicht. Denn ein Auszubildender kostet uns zunächst einmal viel Zeit und auch Geld. Der Auszubildende ist ja auch nicht immer da und wenn er in der Berufsschule ist, zahlen wir trotzdem. Aus diesem Grund können wir gar nicht so viele Auszubildende aufnehmen, wie wir am Ende fertige Fachkräfte benötigen.” (Text/Fotos: CS)
Info: Kreishandwerkerschaft HVL, Walde-marstraße 15A, 14641 Nauen, Tel.: 03321-442711, www.handwerkhavelland.de
Dieser Artikel stammt aus „FALKENSEE.aktuell – Unser Havelland“ Ausgabe 175 (10/2020).
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