Rollender Panzer in der Döberitzer Heide – für den Naturschutz!
Das motorisierte Grollen ist viele hundert Meter weit zu vernehmen. Woher kommt denn nur das Geräusch, das scheinbar das ganze Areal zum Vibrieren bringt? Dann schießt plötzlich ein olivgrün angemalter Bergepanzer über den sandigen Boden, lässt den Sand hoch aufspritzen und hinterlässt tiefe Furchen im Weg, bevor er auch schon wieder hinter der nächsten Ecke verschwindet.
Nanu? Warum rollen denn auf einmal wieder Panzer durch die Döberitzer Heide? Das Gelände war zwar früher tatsächlich einmal jahrzehntelang ein militärisch genutzter Truppenübungsplatz, auf dem die geräuschintensiven Panzer allgegenwärtig waren. Aber das ist lange her. Inzwischen steht das Gelände als “Sielmanns Naturlandschaft Döberitzer Heide” längst für einen modernen Naturschutz, der sich für viele hundert vom Aussterben bedrohte Arten stark macht.
Schon früher bildeten sich in den Mulden, die die Panzer auf den Sandwegen hinterlassen hatten, nach einem starken Regen tiefe Pfützen. Und zwar Pfützen, die das Wasser oft tage- und wochenlang gehalten haben. Diese Wasserstellen sind – und das war zu Zeiten der militärischen Nutzung sicherlich noch nicht bekannt – Brutstätten sehr seltener Urzeitkrebse. So sind vor Ort die beiden Arten Triops cancriformis und Branchipus schaefferi anzutreffen – und zwar zu unterschiedlichen Jahreszeiten. Die später im Jahr auftretende Triops-Art wächst sogar in kürzester Zeit auf bis zu zehn Zentimeter Länge an.
Die Eier der Urzeitkrebse können im Boden glatt mehrere Jahrzehnte überdauern. Es gibt sie überall in der Döberitzer Heide. Sie werden vom Wind in neue Gebiete getragen, haften an den Autoreifen und lassen sich von Tieren verschleppen. Dort, wo sich neue Dauerpfützen bilden, schlüpfen die Eier bei ausreichend Wärme und Sonnenschein in nur 48 Stunden – und ein neuer Lebenszyklus der “lebenden Fossilien”, die sich seit vielen Millionen Jahren nicht mehr verändert haben, beginnt.
Jörg Fürstenow arbeitet für die Sielmann Stiftung und ist verantwortlich für das ökologische Monitoring und das Landschaftspflegemanagement vor Ort. Er erklärt: “Wir hatten in den letzten Jahren so gut wie keinen Niederschlag, sodass sich diese für die Urzeitkrebse wichtigen Pfützen nicht gebildet haben. Wir möchten deswegen nun den Boden verdichten, damit das Wasser nach einem Regen nicht gleich versickert, sondern möglichst lange stehen bleibt. Und diese Verdichtung des Bodens erreichen wir, indem wir wie früher einen Panzer über die sandigen Wege rollen lassen.”
Bei der Landschaftspflege half deswegen am 1. Dezember ab acht Uhr in der Früh ein zivil genutzter Bergepanzer. Er hatte die Aufgabe, mit ordentlich Tempo und seinen 50 Tonnen Gewicht immer wieder zwei unterschiedliche Wegtrassen zu befahren – und das gleich sechs Mal nacheinander, um einen möglichst lang andauernden Effekt zu erzielen. Die ganze Strecke war knapp neun Kilometer lang. Da hatten die drei Panzerführer einiges zu tun. Bei dem eingeschlagenen Tempo war die Aufgabe aber trotzdem bereits nach einigen Stunden bewältigt.
Jörg Fürstenow: “Die Strecken, die der Panzer abgefahren hat, haben wir bereits im Vorfeld von großkalibriger Munition beräumen lassen. Vor kleineren Munitionsresten ist der Panzer gut genug geschützt. Wir holen tatsächlich noch immer tonnenweise Kriegsmaterial aus der Döberitzer Heide. Es ist kein Scherz, dass die Besucher auf den ausgeschilderten Wegen bleiben sollen.”
In diesem altmilitärischen Kontext ist es natürlich umso schöner, dass nun einmal ein Panzer durch die Heide rollt, um im Dienste des Naturschutzes mit seinen gepanzerten Ketten durch das Erdreich zu pflügen.
Die nur für wenige Tage oder Wochen entstehenden temporären Pfützen sind übrigens nicht nur für die imposanten Urzeitkrebse wichtig. Auch die Rotbauchunke sucht diese speziellen Wasserstellen auf, um sich zu vermehren. Hier werden die Eier im Wasser abgelegt, hier entwickeln sich die Kaulquappen der kleinen Unke, die von oben unscheinbar olivgrün erscheint, auf der Bauchseite aber ein intensiv rotes Muster zeigt.
Jörg Fürstenow: “Die Rotbauchunke ist leider sehr selten geworden in Deutschland. Wir haben sie noch bei uns in der Döberitzer Heide. Die trockenen Jahre haben aber dafür gesorgt, dass ihr Bestand deutlich zurückgegangen ist.”
Auch konkurrenzschwache Pflanzenarten wie der Schlammling (Limosellla aquatica), die Sumpf-Quendel (Peplis portula) und verschiedene Armleuchteralgen nehmen die temporären Pfützen gern als Biotop an.
Die lange Nutzung des Geländes als Truppenübungsplatz hat dafür gesorgt, dass weite Flächen der Döberitzer Heide über die Jahre offen geblieben und nicht mit Bäumen zugewachsen sind. Der nährstoffarme Boden tut ein übriges, um eine hohe biologische Vielfalt zu ermöglichen. Hier finden sich noch Tierarten wie die Kreiselwespe, Sandbienen oder die farbenprächtige Röhrenspinne, die alle schütter bewachsene Sandflächen benötigen. Alleine auf den Heideblüten finden sich zahlreiche seltene Solitairbienen, die an anderer Stelle längst nicht mehr anzutreffen sind.
In der Kernzone mit ihren 1.860 Hektar Fläche sorgen Wisente, Przewalskipferde und das Rotwild dafür, dass aufstrebende Bäumchen keine Chance haben, sich voll zu entfalten. Ihre zarten Triebe werden einfach weggeknabbert, bevor sich ein verholzter Stamm bilden kann. In der Naturerlebniszone mit insgesamt 1.800 Hektar Umfang sind Heidschnucken, Ziegen sowie robuste Rinder- und Pferderassen im Auftrag der Landschaftspflege unterwegs.
Das reicht allerdings noch nicht aus, um den Charakter der Landschaft auf Dauer zu bewahren. Jörg Fürstenow: “Wenn wir die Offenlandschaft als Biotop erhalten möchten, müssen wir aktiv selbst etwas tun. Wir haben jetzt in der Döberitzer Heide tausende Aufwüchse entfernt – mitsamt der Wurzeln.”
Die Entfernung der kleinen Bäumchen hat viele Besucher der Döberitzer Heide verwundert. Sie konnten nicht verstehen, wie die Naturschützer nur in einem so großen Maßstab die jungen Bäume entfernen können. Dass diese Maßnahme ganz im Sinn der Natur ist, konnten so einige Spaziergänger nicht begreifen.
Jörg Fürstenow: “Alle unsere Maßnahmen sind mit dem Landesamt für Umwelt abgesprochen und dienen nur dem höheren Ziel, das Biotop zu erhalten.” (Text: CS / Foto Panzer: CS, Fotos Urzeitkrebse: Hannes Petrischak)
Dieser Artikel stammt aus „FALKENSEE.aktuell – Unser Havelland“ Ausgabe 178 (1/2021).
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