Religiös am Falkenseer Anger: Telegram-Gruppe trifft sich zur Andacht!

Kompletter Lockdown im Januar 2021. Die Corona-Infektionsfälle im Havelland erreichten nach Weihnachten nie gekannte Höhen. Viele Geschäfte des Einzelhandels durften nicht mehr öffnen, auch die Restaurants waren geschlossen. Die Bevölkerung befand sich im „Stubenarrest“, Home Office und Home Schooling bestimmten das Bild. Hinzu kam, dass es ohne wichtigen Grund nicht erlaubt war, sich weiter als 15 Kilometer vom Landkreis zu entfernen.
Und doch kam es in Falkensee gleich mehrfach zu einem Treffen von vielen Menschen im Freien. Thomas Fuhl, parteiloser Stadtverordneter aus Falkensee, war es wichtig, „jetzt bloß nicht den Zusammenhalt zu verlieren“. Er erzählte: „Ich bin zufällig im Dezember auf eine Gruppe von Menschen getroffen, die ein Friedenslicht durch Falkensee getragen haben. Das hat mir sehr gut gefallen – und ich habe mich der Sache angeschlossen.“
Am 4. Januar ging der erneut durchgeführte Kerzen-Spaziergang allerdings schief. Über 50 Leute trafen sich an diesem Tag vor dem Falkenseer Rathaus, um zu Fuß zum Bahnhof zu laufen. Die Polizei erschien, um die nicht angemeldete Demo aufzulösen. Doch die Kerzenträger, die sich eigentlich nur auf einem Spaziergang wähnten, gingen an diesem Tag nicht nach Hause, sondern teilten sich vorerst nur in mehrere Grüppchen auf. Eins davon landete tatsächlich vor der Falkenseer Privatwohnung von Brandenburgs Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher. Wollten die Demonstranten das Licht der Liebe auch in Nonnemachers Haus tragen – oder die Gelegenheit nutzen, um gegen die aktuellen Corona-Maßnahmen zu demonstrieren? Es ist natürlich so oder so ein politisches No-Go, einfach vor der Privatadresse eines Politikers aufzumarschieren.
Thomas Fuhl: „Die aktuelle Situation fühlt sich an wie damals 1989. Nur, dass es da ein klares Ziel gab.“
Die ersten beiden Veranstaltungen, die das vordergründige Ziel hatten, ein christliches Friedenslicht auf den Weg zu bringen, wurden von einer Frau aus Dallgow-Döberitz initialisiert, die kurz nach Weihnachten einen Telegram-Chat mit dem Namen „Das HAVELLAND steht AUF“ ins Leben gerufen hatte. Diese Gruppe hat inzwischen 151 Mitglieder (Stand 22. Januar 2021).
Thomas Fuhl beschloss, dieser Organisatorin beizustehen und die von der Polizei als Demo eingestufte Veranstaltung in seinem Namen offiziell als religiöse Andacht anzumelden, um so doch noch eine Genehmigung zur Durchführung zu erhalten. Das gelang auch. Der Stadtverordnete ist schließlich sehr aktiv in der Kirche und holte sich für die öffentliche Andacht laut eigener Aussage sogar die „Erlaubnis und den Segen“ seines zuständigen Pastors.
Am 11. Januar um 18 Uhr sollte es am Falkenseer Anger zwischen dem Haus am Anger, der Kirche und dem Denkmal für die Gefallenen Soldaten des ersten Weltkrieges zu einer stationären, religiösen Veranstaltung kommen. Die Polizei war mit mehreren Einsatzfahrzeugen und vielen Kräften vor Ort, um nach dem Rechten zu sehen. Etwa 30 Personen fanden sich vor Ort ein – alle mit Mundschutz und mit dem gebotenen Abstand. Darauf achtete auch die Polizei, die sich sogar die schriftliche Erlaubnis zur Durchführung der Veranstaltung zeigen ließ. Auch das Falkenseer Ordnungsamt war da.
Thomas Fuhl stellte sich den Anwesenden vor: „Ich bin Falkenseer seit 1963. Ich bin der dienstälteste Abgeordnete der Stadt Falkensee und seit der Wende ununterbrochen wiedergewählt worden. Ich bin aber wegen Undiszipliniertheiten und anderer Kavaliersdelikte vor zwei Jahren aus der CDU rausgeworfen worden, also partei- und fraktionslos.“
Am 11. Januar beschwörte Thomas Fuhl „das Licht von Bethlehem, das innerhalb von sechs Wochen nach Falkensee getragen wurde und hier am 2. Advent angekommen ist“. Die Gäste wurden gebeten, auch ein Licht anzuzünden, auf dass „wir durch das Zeichen einer Kerze miteinander verbunden sind.“
Diese religiöse Veranstaltung soll nun zu einer festen wöchentlichen Einrichtung am Falkenseer Anger werden. Thomas Fuhl: „Wir wollen das jetzt jede Woche machen – und gehen davon aus, dass wir jede Woche mehr werden. Eigentlich möchte ich, dass die Kerzen in drei, vier Wochen um den ganzen Angerteich herum aufleuchten. Das kann ja so schwierig nicht sein für Falkensee. Wir sind ja schließlich 40.000 Leute und wenn wir noch 15 Kilometer hinzuzählen, dann haben wir ja auch noch halb Spandau mit dabei.“ Thomas Fuhl setzte dabei ganz auf die Religion und bat die Anwesenden: „Wir wollen unbedingt, dass hiervon ein friedliches Zeichen ausgeht.“
Die Telegram-Initiatorin namens Heike ergriff ebenfalls das Wort: „Ich habe mir vor einigen Wochen gedacht, wenn wir alle einsam auf der Couch sitzen, wird die Situation ja nicht besser. Wir müssen uns etwas überlegen. Und ja, ich bin bei Telegram, und habe halt auch die Chats angeguckt, und was ich da vermisst habe, war Frieden. Ich möchte alle vereinen. Es ist jetzt 32 Jahre her, da die Kirche Ost und West vereint hat. Wir können die gleiche Geschichte noch einmal schreiben. Wir haben die Möglichkeiten, uns mehr zu vernetzen – wir haben jetzt Telegram. Das hatten wir nämlich vor 32 Jahren nicht. Was mein Traum ist: Wir möchten Gläubige, Ungläubige, Männer, Frauen, Kinder, Verschwörungstheoretiker, Schwurbler, Politiker, Manager, Hausfrauen und noch viel mehr vereinen. Niemand soll mehr alleine sein.“
Und so wurde am Anger eine vordergründig friedliche Veranstaltung durchgeführt. Alle trugen Maske und wahrten den Abstand, es gab keine politischen Ausführungen (nur vage Andeutungen). Und dann sang ein Künstler kirchliche Lieder und alle sprachen zusammen das Vater-unser. Aber: Telegram hat sich schnell den Ruf als Nachrichtendienst der Schwurbler, Verschwörungstheoretiker und Corona-Leugner erarbeitet, hier sind Aktivisten wie Attila Hildmann und Mitläufer wie der Wendler unterwegs. Schwingt da unter dem rein kirchlichen Treffen vielleicht noch etwas anderes mit? Handelt es sich bei der lokalen Kirchengruppe um Corona-Aktivisten und Schwurbler?
Ein deutliches Indiz dafür wären die Zeitungen und Flyer, die gleich stapelweise auf einem bereitgestellten Tapeziertisch auslagen. Ein Flyer schürte so etwa Impfangst und warnte vor genetischem Neuland, mitunter gefährlichen Nanopartikeln im Impfstoff und natürlich auch vor Bill Gates. Außerdem lag der „Demokratische Widerstand“ aus. Diese Zeitung möchte „Licht ins Dunkel in Zeiten der totalitäten Staats- und Konzernpropaganda“ bringen. Ist dieses Licht wohl auch das, was die Kerzen der Andachtsteilnehmer ausstrahlen? Die ausliegende Zeitung bot auch eine „Statistik zur Fake-Seuche“ und schrieb über den „Biopolitik-Terror“.
Darauf angesprochen wich Thomas Fuhl aus: „Ist diese Zeitung verboten?“ Um dann zu sagen: „Ich weiß auch nicht, wer das da hingelegt hat.“
Ein Blick in den Telegram-Kanal „Das HAVELLAND steht AUF“ zeigt auf jeden Fall, dass die Gesinnung zum ausliegenden Material passt. Hier ist nicht mehr so viel von Religion die Rede – und wenn, dann in Anführungszeichen. Da geht es u.a. eher darum, das Impfen nach Kräften zu verteufeln. Zitat: „Es ist doch sehr naheliegend, dass die in den Impfstoff alles mögliche hineintun, damit sie uns kontrollieren oder umbringen können, nur nicht wirklich Impfstoff.“
Auch wird auf Telegram ein Massensturm eines Supermarkts ohne Maske angedacht: „Ich denke mal, so ein Massensturm gerade im [Supermarkt], der morgens schön voll ist, setzt ein Zeichen bei den Schlafschafen.“ Admin Heike schreibt dazu: „Ich trage eh keine Maske.“
Die große Frage ist: Wo ist Thomas Fuhl da nur reingeraten? Er sagte: „Es gärt überall in Deutschland. Wenn das noch ein paar Monate so weitergeht und die Menschen ihre Häuser und ihre Arbeit verlieren, dann kommt es zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen.“
Die Veranstaltung schlug hohe Wellen. Für den 18. Januar war die religiöse Andacht erneut genehmigt, sie fand aber offensichtlich nicht statt. Bürgermeister Heiko Müller ist empört, die Pfarrgemeinde St. Konrad distanziert sich. (Text/Fotos: CS)
Hinweis: Der Artikel wurde am 12. Januar 2021 veröffentlicht und am 22. Januar 2021 noch einmal überarbeitet.
Im Nachgang erreichten uns diese Statements:
Falkensees Bürgermeister Heiko Müller sagt zu dem vorgestellten Artikel: „Ich bin überrascht und enttäuscht, dass es immer noch Menschen gibt, die vor der dramatischen Situation die Augen zu machen. Mir geht es dabei nicht um politische Statements der Verantwortlichen, sondern um die Situation in den Krankenhäusern und die Angst unzähliger Mitmenschen, an Covid-19 zu erkranken, schwere Nachwirkungen zu haben oder sogar daran zu sterben. Diejenigen, die die Dramatik der Pandemie leugnen oder herunterspielen, haben sich offensichtlich nicht über die Nöte der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Krankenhäusern informiert. Und selbst wenn die persönlichen Kontakte stark eingeschränkt sind, kennt eigentlich jede und jeder unterdessen Familien, die von Corona betroffen sind. Wer das alles als Unfug abtut, handelt unverantwortlich. Völlig inakzeptabel ist, den Schutz der Religionen in Deutschland dazu zu missbrauchen, notwendige Regeln des Gesundheitsschutzes auszuhebeln. Eine Demonstration wird nicht zu einer religiösen Veranstaltung, weil man sie so nennt oder jemand das „Vaterunser“ vorliest. Gegebenenfalls sind hier Klarstellungen durch den Gesetzgeber oder Gerichte erforderlich.“
Eine Stellungnahme der Pfarrgemeinde St. Konrad zur Veranstaltung am 11. Januar in Falkensee:
Am Abend des 11. Januar 2021 fand offenbar am Falkenseer Anger eine Veranstaltung mit 30 bis 40 Teilnehmern statt, die von einem Gemeindemitglied aus St. Konrad organisiert und durchgeführt wurde. Als „christliche Andacht“ angemeldet, konnte der Eindruck entstehen, es handle sich um eine Veranstaltung der katholischen Pfarrgemeinde. Hierzu stellen wir fest: Bei der „christlichen Andacht“ handelte es sich weder um einen Gottesdienst noch um eine andere Veranstaltung in Verantwortung oder gar im Auftrag der katholischen Pfarrgemeinde St. Konrad von Parzham in Falkensee. Die Veranstaltung wurde von uns weder angemeldet und organisiert noch durchgeführt. Wir verwahren uns auch ausdrücklich gegen jeden Versuch der Vereinnahmung. Für unsere Veranstaltungen und Gottesdienste sind die Regelungen des Erzbistums Berlin verbindlich, die unter www.erzbistumberlin.de/corona zusammengefasst sind. Von Beginn der Pandemie an haben wir verantwortlich gehandelt, Hygienekonzepte entwickelt und einen Beitrag zur Eindämmung der Pandemie geleistet.
Pfarrer Thorsten Daum Barbara Vogel Thomas Neubauer
Pfarradministrator für den Kirchenvorstand Pfarrgemeinderatsvorsitzender
Dieser Artikel stammt aus „Unser Havelland“ Ausgabe 179 (2/2021).
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