Keine Angst vor der Regenbogenfamilie: Falkensee hisst die Regenbogenfahne zum IDAHOBIT!
Die Falkenseer Stadtverordneten haben die Regenbogenfahne vor dem Rathaus gehisst. Passend zum IDAHOBIT, dem internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie, flatterte die bunte Fahne im Wind. Etwa 90 Zuschauer wohnten der Zeremonie bei. Die Fahnenaktion stand in der Gartenstadt übrigens im Zeichen der Regenbogenfamilien, die hier leben. Sie meldeten sich auch direkt zu Wort.
Der IDAHOBIT wird seit einigen Jahren weltweit begangen. Er erinnert mit dem Hochziehen einer Regenbogenfahne an den 17. Mai 1990. An diesem Tag beschloss die WHO, die Homosexualität aus ihrem Diagnoseschlüssel für Krankheiten zu streichen. Seit 2018 wird auch die Transsexualität nicht mehr von der WHO als Erkrankung aufgeführt.
Das sind wichtige Fortschritte für alle Menschen, die nicht so leben oder lieben, wie sich das die klassischen Gesellschaft wünscht. Aber sollte nicht jeder Mensch die Freiheit haben, zu lieben oder zu sein, wie es ihm oder ihr gerade in den Sinn kommt?
In Falkensee wurde die Regenbogenfahne bislang vom Regenbogencafé und vom Jugendforum passend zum “Christopher Street Day” gehisst. 2020 flatterte die Fahne erstmals auch zum IDAHOBIT in der Luft – allerdings hatte hier das Jugendforum diese Aktion ganz im Alleingang vor der “Alten Post” durchgeführt.
In diesem Jahr wurde die Regenbogenfahne erstmals auch vor dem Falkenseer Rathaus passend zum IDAHOBIT in die Luft gezogen. Die Stadtverordneten von Falkensee hatten sich diesen Akt selbst verordnet – und ihn zusammen mit dem Jugendforum und dem Regenbogencafé ausgeführt. Dabei war man am 21. Mai diesen Jahres allerdings kein Vorreiter mehr in der Region – der Landkreis und die Gemeinde Wustermark hatten die Fahne bereits pünktlich zum eigentlichen IDAHOBIT-Datum am 17. Mai auf den Fahnenmast gezogen.
Julia Concu (Die Grünen) sagte als Vorsitzende der Falkenseer SVV: “Die Falkenseer Stadtverordnetenversammlung hat beschlossen, ein klares Zeichen für eine inklusive Gesellschaft zu setzen und queeres Leben zu unterstützen und sichtbar zu machen. Auch in diesem Jahrhundert ist es leider noch immer so, dass Gewaltübergriffe, Diskriminierungen und Ausgrenzungen keine Seltenheit gegenüber queeren Menschen sind. Also gegenüber Menschen, die sich nicht am traditionellen Rollenbild von Mann und Frau rund um Geschlecht und Sexualität orientieren. Um so mehr ist es Aufgabe jeder Stadt und jeder Gemeinde, sich für ihre Rechte, für Sichtbarkeit und für Toleranz einzusetzen.”
Harald Petzold, für die LINKEN in der SVV, zugleich aber auch Lehrer in Falkensee: “Wenn ich mit meinen Schülerinnen und Schülern darüber spreche, das Homo- und Transsexualität noch vor kurzem als Krankheit bezeichnet worden sind, können die das immer gar nicht fassen. Gerade viele junge Leute nehmen das heute ja als völlig normal und als gegeben hin, dass die Menschen so sein können, wie sie nun einmal sind.”
Vielfältiges Leben ist in der Corona-Pandemie unsichtbar geworden
Constanze Körner vom Berliner Verein “Lesben Leben Familie” (LesLeFam) wies im Rahmen der Veranstaltung darauf hin, dass die Corona-Pandemie der Toleranz gegenüber Anderslebenden sehr geschadet habe: “Wir wissen, dass die Gewalt gegen Homosexuelle, Bisexuelle, Inter- und Transpersonen während Corona weltweit zugenommen hat. Das gilt auch für Berlin und Brandenburg, das wissen wir aus den Statistiken der Polizei und der Opferorganisationen. Wir erleben, das vielfältiges Leben durch die Pandemie wieder unsichtbar wird und dass durch die Unsichtbarkeit auch die Akzeptanz schwindet.”
Barbara Richstein (CDU) brachte als Vizepräsidentin des Landtags sogar konkrete Zahlen mit: “Im vergangenen Jahr gab es in Brandenburg 19 Straftaten aufgrund der sexuellen Orientierung der Opfer. Das hört sich nach wenigen Fällen an, ist aber doch mehr als eine Verdoppelung zum Vorjahr, als nur acht Straftaten bekannt wurden. Das Tragische daran ist, dass die Dunkelziffer so erschreckend hoch ist. Laut einer Umfrage des Sozialministerium schämen sich viele Opfer und möchten deswegen keine Anzeige stellen. Durch das Hissen der Regenbogenfahne setzen wir ein Zeichen, bei Gewalt gegen Homo- und Transsexualität eben nicht wegzusehen. Wir brauchen Zivilcourage.”
Bjarne Utz von der Landesarbeitsgemeinschaft “Queer Grün Brandenburg” ging bei so viel Intoleranz, Kummer und Gewalt glatt die Galle hoch. Er fand sehr deutliche Worte: “Wir brauchen in Falkensee und in ganz Brandenburg ein klares Bekenntnis zu Diversität und ein entschlossenes Handeln zum Schutz queerer Menschen, denn es geht um nichts Geringeres als um die Verteidigung und Durchsetzung von Menschenrechten – und das muss uns alle etwas angehen.”
Er verwies aber auch auf eine Begleiterscheinung eines Lebens jenseits der in den Köpfen verankerten Normen, an die oft gar nicht gedacht wird: “Lebensentwürfe jenseits der Hetero-Lebensweise finden im Behördenalltag wenig bis keine Berücksichtigung. Das öffnet Tür und Tor – für Diskriminierung und für Zwangs-Outings.”
Das Hissen der Regenbogenfahne setzte deswegen zumindest in Falkensee den Fokus auf die Regenbogenfamilien. Das sind Familien, die eben nicht im klassischen Vater-Mutter-Kinder-Konzept zusammenleben. Als lebendiges Beispiel aus Falkensee ging Michael Sakreida ans Mikrofon. Er lebt mit einem Mann zusammen. Beide haben aber jeweils ein Kind zusammen mit den Frauen aus einem lesbischen Pärchen. Vier Eltern, zwei Kinder – wie bekommt man dies im behördlichen Alltag auf einen Nenner?
Michael Sakreida: “Was mich nervt, ist, dass es die Politik nicht fertigbringt, für gelebte Realitäten adäquate gesetzliche Rahmenbedingungen zu schaffen. Ich habe zusammen mit meinem Ehemann zwei Kinder. Die beiden Mamas haben auch gemeinsam zwei Kinder. Es sind aber dieselben Kinder. Es sind immer noch zwei Kinder und nicht vier. Deswegen sind wir gemeinsam eine Regenbogenfamilie. Und ich finde, unsere Kinder haben nicht nur ein Recht auf ein Elternteil, oder auf zwei oder drei, sondern auf alle vier. Rechtlich gesehen habe ich aber nur ein Kind mit einer mehr oder weniger fremden Frau außerhalb meiner Ehe. Dasselbe gilt für meinen Mann und in ähnlicher Form auch für die Mütter. Vieles ist unter uns inzwischen zum Glück durch Absprachen und Vollmachten geregelt. Ohne ein modernes Familien- und Abstammungsrecht mit einer Mehrelternschaft ist es aber im Alltag sehr schwer für uns. Was ist denn, wenn einmal etwas Schlimmes passiert und das rechtlich verantwortliche Elternteil ist gerade nicht greifbar?” (Text/Fotos: CS)
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Dieser Artikel stammt aus „Unser Havelland“ Ausgabe 184 (7/2021).
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