Offener Brief an die Bildungsministerin Frau Britta Ernst
Sehr geehrte Frau Ministerin Ernst, seit fast sechs Jahren besuchen wir das Vicco-von-Bülow-Gymnasium in Falkensee und legen momentan als Schülerinnen der 12. Klasse unser Abitur ab. Wir verlassen also unsere Schule im Sommer und könnten mit diesem Kapitel in unserem Leben abschließen und alle Schüler*innen der unteren Jahrgänge ihrem Schicksal überlassen. Doch das können und wollen wir nicht.
Mit unserem Wechsel ans Gymnasium traten wir in den Chor der Schule ein und wurden damit Teil einer Chorfamilie, die geprägt war von gegenseitiger Wertschätzung, Respekt, Harmonie und einem Gefühl von Miteinander. Es entwickelte sich ein soziales Netzwerk, welches sich unaufdringlich und positiv innerhalb der Schulgemeinschaft ausbreitete und Freundschaften jahrgangsübergreifend ermöglichte. Mehr als ein Viertel unserer Schüler*innen waren beim letzten Konzert im Winter 2019 involviert. Die Konzerte sind aber nur ein kleiner Teil dessen, was wir durch das Singen und Musizieren erfahren durften und was uns in unseren ersten Jahren bis zu eben jenem Winter 2019 geprägt und in unserer Entwicklung maßgeblich beeinflusst hat. Seit mehr als einem Jahr reduzierte sich unser Schulleben, welches stellvertretend für das von hunderttausenden Schüler*innen in Deutschland steht, auf einen distanzierten und sterilen Ort der Wissensvermittlung. Für uns bedeutet Schule aber seit vielen Jahren so viel mehr als das.
Wir können uns gut vorstellen, dass das Thema Singen im Bildungsministerium sehr, sehr weit hinten in der zu bedenkenden Hierarchie steht und bringen dafür auch Verständnis entgegen. Wir wünschen uns aber und sehnen uns nach einem Zeichen, dass wir unter neuen Bedingungen wieder behutsam auch im Chor einen Einstieg wagen können. Hygienekonzepte gibt es dafür schon seit vergangenem Sommer.
Wir wünschen uns eine Reaktion, ein Wahrgenommen werden in diesen Zeiten, ein Zeichen, dass das Bildungsministerium diesen so wichtigen Kulturbereich des Singens an Schulen sieht.
Unsere zwei Chöre gründeten sich vor acht Jahren und wuchsen in dieser Zeit zu einer Gemeinschaft von durchschnittlich 80 Personen an. Das waren mehr als ein Viertel unserer Schülerschaft. In den Online- Proben, die seit dem zweiten Lockdown stattfinden, nehmen hingegen nur noch etwa fünf Sänger*innen im Chor I wöchentlich teil. Um das komplette und drohende Absterben der Chorgemeinschaften an Schulen zu verhindern, ist es nun an der Zeit, dem gemeinsamen Singen eine dringend notwendige Chance zu geben.
Im vergangenen Jahr sind uns all die positiven Auswirkungen des Singens und der Chorgemeinschaft erst bewusst geworden, da wir sie für so lange Zeit für selbstverständlich hielten und sie dafür nun umso mehr schätzen und vermissen. Uns tut es im Herzen weh, dass es so viele Schüler*innen gibt, die diese Erfahrungen gerade nicht erleben können und sie auch keinerlei Perspektiven geboten bekommen.
Aus diesem Grund appellieren wir an Sie, Frau Bildungsministerin, geben Sie uns im wahrsten Sinne des Wortes eine Stimme und ermöglichen Sie, dass unsere nachfolgenden Jahrgänge das Gefühl dieser Chorgemeinschaft wieder erleben dürfen.
Hochachtungsvoll
Anna Lena Buhla
Florentine Domrös
Imke Gädke
Falkensee, den 25.05.2021
(Text: Anna Lena Buhla, Florentine Domrös, Imke Gädke / Foto: Privat)
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