Äste beschneiden
Darauf freue ich mich schon das ganze Jahr. Kaum wird es Herbst, ziehe ich die Astschere aus ihrem Versteck im Schuppen hervor und komme über meinen Garten wie die Heuschrecken über die Savannen Afrikas. Im Nullkommanichts sind alle Äste gestutzt: Nur wer räumt hinter mir auf?
Botanik ist die Lehre vom Tierfutter. So habe ich es damals an der Uni als bekennender Zoologe gelernt. Ganz in diesem Sinn darf in meinem Garten alles wachsen, was Raupen, Käfern und anderem Getier als Nahrung dient. Ab und zu greife ich regulierend mit dem Rasenmäher ein. Das reicht dann aber auch schon wieder. Der Garten ist zum Genießen da – und nicht zum übermäßigen Arbeiten.
Nur einmal im Jahr, da muss der große Kahlschlag her. Da greife ich zu meiner Astschere mit Teleskoparmen und schleiche durch den Garten, um alle Bäume und Sträucher zu stutzen. Das macht freilich richtig Spaß, überall einmal Hand anzulegen, damit die Bäume nicht zu sehr in die Höhe schießen. Auf einmal öffnen sich wieder Wege, die das ganze Jahr über verschlossen waren: Wer sagt denn, das auf dem märkischen Sand nichts wächst? Und wie schön ist es, hinter den wuchernden Büschen die verlorenen Fußbälle eines Sommers wiederzufinden!
Nach einer Stunde hemmungslos gefrönter Zerstörungswut sieht der Zierahorn wieder richtig gut aus, kann man hinter dem Busch am Teich auch den Teich wieder ausmachen und ist auch der Blick von der Frühstücksterrasse über die Stümpfe der beiden Trauerweiden hinweg wieder möglich. Meine Muskeln schmerzen, die Astschere ist stumpf und ich habe das Gefühl, mich durch den ganzen Dschungel Kolumbiens gehackt zu haben. Das bringt mich auf die Idee, meine originale Buschmachete hervorzuholen, um auch noch die Brennnesseln am Zaun zu massakrieren. Jetzt gibt es ja keine Schmetterlingsraupen mehr, denen ich hier ein sommerliches Zuhause gegönnt habe.
Kaum bin ich fertig, ist die Familie sauer. Und tatsächlich: Der Garten sieht aus wie ein Schlachtfeld: Überall Äste und Blattwerk. Au weia. Einen Häcksler soll ich besorgen, ein Lagerfeuer soll ich machen. Doch wie es mit uns Männern so ist: Auf halber Strecke gehen uns doch immer wieder die Kräfte aus. Die Äste ziehe ich alle auf unsere Unkrautwiese. Als Biologe postuliere ich, dass ich diesen Holzhügel nur errichte, damit die Igel darunter ein Winterquartier haben. Tatsache ist, dass ich viel zu groggy bin, um noch weiter zu arbeiten. Das Laub sammle ich mit dem Rasenmäher ein, das geht am schnellsten.
Am Ende sieht der Garten wieder aus wie neu – ordentlich gestutzt und fast so, als hätte hier ein echter Gärtner gewerkelt. Da im Winter nix wächst, bleibt mir dieses Bild bis zum Frühjahr erhalten. Wer sagt denn da, dass ich keinen Grünen Daumen habe? (Carsten Scheibe)
Seitenabrufe seit 1.12.2021:
Kennen Sie schon unsere Gratis-App?
Apple – https://unserhavelland.de/appapple
Android – https://unserhavelland.de/appandroid
Anzeige