Scheibes Glosse: Gewichts-Mobbing
Jeder zweite Deutsche ist zu dick. Ich weiß das, denn ich bin einer davon. Ich bin weit davon entfernt, als Kugel durch die Lande zu rollen. Und ich bin noch dazu in der Lage, mir im Stehen die Schuhe zuzuschnüren. Um das zentrale Powerzentrum herum schlummern aber bestimmt zehn Kilo zu viel Hüftgold an meinem Adonis-Körper.
Das Übergewicht ist zum Teil erblich bedingt, zum Teil aber auch meiner Lebenssituation geschuldet. Ich sitze den ganzen Tag am PC, bin bekennender Cola-Süchtiger und fange an, Süßkram zu vertilgen, wenn ich richtig Stress beim Arbeiten bekomme. Klar mache ich Sport, gehe zum Karate und zum Golfen, laufe mit dem Hund spatzieren und spiele mit den Kindern Fußball. Aber um schlank wie ein Hering zu werden, müsste ich doch vor allem die Ernährung komplett umstellen. Aber egal, darum geht es ja heute gar nicht.
Lassen Sie uns über Taktgefühl, Diskretion und Mobbing sprechen. Niemand geht offensiv auf einen Fremden oder einen Bekannten los und sagt: “Mensch, du hast aber einen schön häßlichen Herpes.” Oder: “Mann, deine Haare fallen ja auf dem Kopf schneller aus, als sie in den Ohren nachwachsen können.” Oder: “Du bist ja so hässlich, du solltest mal in eine Schönheitsfarm gehen.”
Klar, so etwas denkt man sich im stillen Oberstübchen, spricht es aber nicht laut aus. Geht es ums Gewicht, dann sieht es komischerweise ganz anders aus. Flüchtige Bekannte tatschen einen plötzlich auf dem Bauch und sagen: “Na, zugenommen?” Nein, gerade drei Kilo abgenommen, aber Danke schön für die freundlichen Worte. Andere sprechen gleich eine Empfehlung aus: “Probiere es doch mal mit Diät-Cola.” Danke, schmeckt eklig und knallt nicht so, wenn man mal einen Zuckerflash braucht. Oder sie schauen stirnrunzelnd auf den eigenen Teller und murmeln: “Mann, noch eine Portion würde ich ja an deiner Stelle nicht essen.”
Hallo? Wo nehmen alle Spargeltarzane und Hungergespenste eigentlich immer diesen Missionarsauftrag her, alle Dicken sofort und gleich beleidigen und dann bekehren zu wollen? Vielleicht haben wir doch etwas zu rund Geratenen einfach mehr Spaß im Leben, gönnen uns mehr, leben exzessiver und sind deswegen entspannter? Eben weil wir uns nicht alles immer versagen.
Ich habe jedenfalls beschlossen, zurückzuschlagen. Sagt einer zu mir: “Na, Dicker!”, dann sage ich “Na, Doofer”. Oder sagt eine Frau: “Kannst du denn noch an deinem Bauch vorübersehen?”, dann kontere ich mit “Ich habe genau so einen freien Blick auf meine Füße wie du an deiner nicht vorhandenen Oberweite vorbei.”
Zu fies? Dann schließen wir doch einen Waffenstillstand: Wir Moppligen dürfen unbehelligt moppeln, so lange wir wollen – und dafür schlagen wir auch nicht zurück. Denn die besseren Sprüche, die würden ganz klar von uns kommen. (Carsten Scheibe)
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