Thorge in Togo
Was treibt einen jungen Menschen dazu, direkt nach dem Abitur ins Ausland zu gehen? Warum sollte man in einem fremden Land, fernab von Freunden und Familie, einen so genannten „Freiwilligendienst“ ableisten, anstatt die neu gewonnenen Freiheiten zu genieβen? Mit diesen Fragen bin ich seit meinem Entschluss, für ein Jahr nach Togo in Westafrika zu gehen, immer wieder konfrontiert worden.
Doch was für viele ältere Menschen schwer zu verstehen ist, ist für die jungen Leute von heute völlig normal. Viele machen ein Jahr work&travel, arbeiten als Aupair oder engagieren sich als Freiwillige. Die Gründe dafür sind oft recht ähnlich. Viele möchten eine neue Sprache lernen oder alte Sprachkenntnisse auffrischen. Einige möchten eine neue Kultur entdecken, Menschen aus anderen Ländern kennenlernen und Erfahrungen machen, die sie das ganze weitere Leben begleiten werden.
Doch die Entscheidung für ein Jahr im Ausland ist noch viel mehr. Sie ist der Start ins eigene Leben, das Flügge werden, der Abschied von Mama und Papa. Fast niemand war bisher so lange weg von zu Hause und fast keinem dürfte die Entscheidung zu gehen wirklich leicht gefallen sein.
In den Tagen vor dem Abflug kommen die Zweifel: Mache ich das Richtige? Sollte ich nicht lieber gleich anfangen zu studieren? Halte ich das durch, ein Jahr ohne meine Freunde, ohne meine Familie?
Doch dann, im Flieger, sind plötzlich alle Zweifel wie weggeblasen und die Spannung auf das Neue gewinnt die Überhand. Das Leben hier in Togo mitten in Afrika ist anders als zu Hause. Die Menschen sind offener, aber zugleich auch viel direkter. Mit meiner weiβen Haut falle ich auf wie ein bunter Hund. „Yowo, Yowo“ schreien mir die Kinder hinterher, „Weiβer, Weiβer“. Doch nicht nur die Kinder schreien, auch die Marktleute, die so meine Aufmerksamkeit erregen wollen. Die Yowo-Rufe verfolgen mich überall hin. Was am Anfang noch witzig ist, wird irgendwann lästig, doch am Ende nimmt man es gar nicht mehr wahr, es ist zu einem Stück Alltag geworden.
„Zeit ist flexibel“, das war eines der ersten Sprichwörter, die ich hier zu hören bekam. Und es trifft zu. Nirgendwo musste ich so oft auf jemanden warten wie hier. Das mag für uns Deutsche mit unserem strikten Pünktlichkeitsbedürfnis zwar am Anfang etwas ungewohnt sein, man gewöhnt sich aber schnell daran. Es ist keinesfalls Zeichen einer schlechten Angewohnheit, wenn man hier zu spät kommt, sondern eher Ausdruck eines anderen Zeitverständnisses. Es läuft alles ein wenig gemütlicher ab als in Deutschland und wenn man selbst mal etwas spät dran ist, stört das niemanden.
Musik und Tanz sind tief verwurzelt in der togolesischen Kultur. Fast jeden Abend hört man Trommelspiel und auch auf Dorffesten sind die „Tam-Tams“ ein fester Bestandteil der Zeremonie. Vor ein paar Wochen wurde der neue „Chef du Village“ von Agou vereidigt. Dieses Spektakel wollte ich mir nicht entgehen lassen, deswegen fuhr ich zusammen mit einigen anderen Freiwilligen nach Agou. Und so standen wir inmitten einer Menge von Togolesen, die laut klatschten und wie in Trance zum Rhytmus der Musik mittanzten. Auch wenn wir die Zeremonie nicht ganz verstanden, war es doch sehr interessant. Als uns der frisch gebackene Chef du Village danach noch zu einer Privataudienz einlud, war dies eine große Ehre, über die wir uns alle sehr freuten.
Auch wenn mein Projekt, die Arbeit mit blinden Jugendlichen in einer Schule in Kpalime, im Südwesten des Landes, noch nicht begonnen hat, ist mein bisheriger Aufenthalt hier keine vertane Zeit. Ich erhalte einen Einblick in die Kultur und die Lebensart eines Landes, das für mich bisher volkommen unbekannt war.
Seit zwei Monaten lebe ich jetzt in Togo, doch es erscheint mir so, als ob schon eine Ewigkeit seit meinem Abschied aus Falkensee vergangen ist. Viele Sachen aus Deutschland vermisse ich: Brotaufstrich, frische Milch und Junkfood. Aber auch Dinge, die in Deutschland eine Selbstverständlichkeit sind, wie zum Beispiel Duschen mit Brausekopf, die hier „Yowo-Showers“ genannt werden und die es nur in den Hotels gibt. In den normalen Haushalten muss man mit einem Eimer und einem Wasserhahn vorlieb nehmen.
Ich vermisse viel von zu Hause und dennoch zieht es mich hier nicht weg. Ich will noch so viel erleben, so viele Erfahrungen machen. Es liegt noch einiges vor mir. Ich bin gespannt.
Thorge Thomsen (19) ist in Falkensee aufgewachsen. Er besuchte die Europaschule am Gutspark und hat dieses Jahr sein Abitur am Lise-Meitner-Gymnasium gemacht. Er geht gerne tauchen, macht Fahrradtouren und interssiert sich für Poetry-Slams. Freunde von ihm absolvieren zur gleichen Zeit ihr Jahr in Tansania, Thailand und Frankreich.
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