Spandau: Dieter Schäfer und seine Steinbaukästen
Man gebe Kindern ein paar Klötzchen – und sie bauen die tollsten Gebäude. Heute bestehen die quadratischen und rechteckigen Formen aus Plastik, vor einigen Jahren hat man sie noch aus Holz gefertigt. Für Dieter Schäfer (82) aus Spandau ist selbst Holz nicht das richtige Material.
Er schwört stattdessen auf Stein und erklärt auch, warum dies so ist: „Allein durch das Gewicht der Steine bekommen die Strukturen eine ganz andere Statik. Die so erbauten Gebäude sind, wenn man alles richtig macht, um einiges stabiler.“
Dieter Schäfer schwört auf die traditionellen Anker Steinbaukästen. Seine umfangreiche Privatsammlung hat er in der Pichelsdorfer Straße zusammengetragen. Hier residieren nun die Steinbaukastenfreunde Berlin in einem ehemaligen Ladengeschäft direkt an der Straßenfront. Bei den Steinbaukastenfreunden handelt es sich weder um ein Museum noch um einen Verein.
Dieter Schäfer: „Das ist meine private Spielzeugsammlung, die ich hier in einem 100 Quadratmeter großen Ladengeschäft ausstelle. Hier stehen 800 alte Steinbaukästen in den Regalen, die bis ins Jahr 1880 zurückreichen. An die 200.000 Steine haben wir in zahllose Plastikkisten einsortiert. Mit ihnen bauen wir. Unsere Tür steht an jedem Dienstag von 9 bis 16 Uhr offen. Dann treffen wir uns meist zu fünft oder sechst und bauen an unseren Projekten. Gern kann man uns in dieser Zeit besuchen, uns über die Schultern schauen und sogar mitmachen. Eine kurze vorherige Anmeldung wäre nett. Manchmal besuchen uns sogar Schulklassen. Denn die Spielsteine eignen sich für jedes Alter.“
Die Geschichte der Steinbaukästen ist eine überaus spannende. Bereits vor über 130 Jahren wurde das Konzept von den beiden Brüdern Otto und Gustav Lilienthal erdacht und optimiert. Die Brüder waren aber mit anderen Dingen beschäftigt und verkauften ihre Erfindung 1880 an den Unternehmer Friedrich Richter, der im thüringischen Rudolstadt lebte. Er ließ sich die Steinbaukästen patentieren, exportierte sie in alle Welt und wurde mit ihnen – Verzeihung für das Wortspiel – steinreich.
Dieter Schäfer: „Die Steine bestehen aus Quarzsand, Kreide, Leinölfirnis und etwas Farbe. Friedrich Richter produzierte im Lauf seines Lebens an die 400 verschiedene Baukästen mit 1.200 Steinformen.“
Der Clou war schon damals, dass es verschiedene Sets mit Steinen gibt, die aufeinander aufbauten. Jedem Set lag stets ein farbiges Handbuch bei, das aufzeigte, welche Gebäude man mit den vorhandenen Steinen bauen könnte. Stets zeigte ein finales Blatt den Ausblick auf ein noch größeres und noch schöneres Bauwerk – für dessen Umsetzung aber ein weiterer ErgänzungsSteinbaukasten vonnöten war. Ein frühes und sehr schlaues Marketing, das bestens funktionierte.
Zwei Weltkriege brachten die Produktion ins Schwanken, nach dem Zweiten Weltkrieg war der früher so begehrte Artikel wirtschaftlich tot. Dieter Schäfer: „Zu der Zeit gab es kein Spielzeug zu kaufen, die Menschen hatten andere Sorgen. In der DDR flammte die Produktion noch einmal auf – bis 1964 gab es neue Kästen zu kaufen.“ Seit 1998 gibt es zum Glück wieder ein Unternehmen in Rudolstadt, das die Steine herstellt. Die Ankerstein GmbH (www.ankerstein.de) bietet zurzeit wieder 20 verschiedene Baukästen an, erlaubt es aber auch, Einzelsteine nachzukaufen.
Dieter Schäfer: „Wirklich erstaunlich ist, dass ich zeitgleich mit nagelneuen und mit 130 Jahre alten Steinen bauen kann – und man sieht keinen Unterschied. Die Steine halten sich ohne weitere Pflege problemlos über die Jahrzehnte. Das ist ein tolles Konzept und es ist schade, dass diese Baukästen nicht in jedem Kinderzimmer stehen. Jeder Mensch, der mit den Steinen in Berührung kommt, verwandelt sich sofort in einen kreativen Architekten.“
Die Sammlung von Dieter Schäfer, die früher im Gotischen Haus in der Spandauer Altstadt zu sehen war und die am 28. Oktober 2016 an den aktuellen Standort umgezogen ist, soll nicht in den Regalen und Plastikwannen einstauben.
An vielen Stellen in den Räumlichkeiten stehen riesige Bauwerke, die von den Steinbaukastenfreunden bereits aus unzähligen Steinen zusammengesetzt wurden. Da gibt es eine griechische Tempelanlage ebenso wie eine Weihnachtskrippe. Alte Fabrikanlagen erwachen wieder zum Leben und auch historische Bauwerke wie die Friedrichswerdersche Kirche aus Berlin-Mitte sind im Nachbau zu sehen.
Dieter Schäfer: „Zurzeit ist bei uns auch das Rote Rathaus von Berlin ausgestellt, aber das haben wir nicht selbst gebaut, das ist eine Leihgabe.“
Wenn man die kleinen farbigen Bausteine in den Händen hält, dann ist man wirklich erstaunt, wie schwer sie sind. Die Farben dienen nicht nur der späteren Verschönerung der Bauwerke. Sie helfen auch bei der Orientierung, wenn man sich an die knifflige Aufgabe heranwagt, die alten Baupläne zu lesen, die ein Bauwerk Schicht für Schicht neu entstehen lassen. Dieter Schäfer: „Das Material ist ungiftig. Sie könnten einen der Steine aus Versehen verschlucken, es würde nichts passieren.“
Ob es wohl noch andere Fans der Anker Steinbaukästen gibt, die sich so intensiv mit der Materie beschäftigen? Dieter Schäfer: „Das Interesse ist quer durch alle Generationen da. Die Älteren, die das aus ihrer Kindheit kennen, bauen ebenso gern mit den Steinen wie die Jungen, die das Material neu für sich entdecken und die Chancen sehen. Weltweit gibt es noch einige aktive Sammlervereine, einer davon sitzt in Holland. Viele spielen mit den Kästen aber allein im stillen Kämmerlein und gehen nicht an die Öffentlichkeit, wie wir das tun.“
An der letzten „Nacht der offenen Museen“ haben sich die Steinbaukastenfreunde Berlin inoffiziell beteiligt und die Türen auch zu später Abendstunde offenstehen lassen. Dieter Schäfer: „Wir wollten eigentlich gemütlich ein Bier trinken und kamen erst nach Mitternacht dazu, weil immer wieder jemand zu uns kam, um sich über die Steinbaukästen zu informieren. Das war ein riesiger Erfolg.“ (Text/Fotos: CS)
Info: Steinbaukastenfreunde Berlin, Pichelsdorfer Straße 86,13595 Berlin, Tel.: 030-3618028 oder 0172-8771640, www.ankersteine-schaefer.de
Dieser Artikel wurde in „FALKENSEE.aktuell – Unser Havelland“ Ausgabe 154 (1/2019) veröffentlicht.
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