Der Wolf ist da: Ein Wolfsrudel lebt in der Döberitzer Heide!
In keinem anderen deutschen Bundesland gibt es so viele Wolfsrudel wie bei uns in Brandenburg – 50 sind zurzeit bekannt. Nun hat sich eine Wolfsfamilie auch in der Döberitzer Heide niedergelassen. Was bedeutet dies für Spaziergänger, Hunde, Schafe und Wisente? Carsten Scheibe von „Unser Havelland“ sprach mit Rebecca Oechslein und Peter Nitschke von der Heinz Sielmann Stiftung.
Seit einigen Jahren gibt es immer wieder Wolfsmeldungen in Brandenburg. Viele Sichtungen lassen sich am Ende zwar nicht eindeutig mit Fotos, Fährten oder anderen Anzeichen bestätigen. Gleichwohl ist der Wolf wieder in Deutschland Zuhause.
Peter Nitschke, in der Sielmann Stiftung verantwortlich für das Naturschutzgebiet in der Döberitzer Heide: „Seit der Wiedervereinigung wandert der Wolf zunehmend wieder nach Deutschland ein. Insbesondere die aufgegebenen Truppenübungsplätze und die sich selbst überlassenen Landstreifen des Kohletagebaus bieten dem Wolf ausreichend Fläche, ungestörte Ruhe und vor allem auch Nahrung.“
Wolfssichtungen gerade im Havelland wurden in der Vergangenheit immer wieder auf einzelne Jungtiere zurückgeführt, die sozusagen „auf der Durchreise“ waren.
Rebecca Oechslein, Leiterin des Bereichs Landschaftsökologie in der Heinz Sielmann Stiftung, erklärt das wie folgt: „Viele Menschen glauben, dass ein Wolfsrudel aus sehr vielen Tieren besteht. Das stimmt so nicht. Es besteht meist aus einem Elternpaar und dem Nachwuchs der letzten ein, zwei Jahre. Sobald der Nachwuchs geschelchtsreif wird, verlassen die Jungtiere das elterliche Rudel und bringen weitere Strecken hinter sich, um einen Geschlechtspartner zu finden und ein eigenes Rudel zu gründen.“
Man geht davon aus, dass ein Wolfsrudel etwa eine Fläche von 25.000 Hektar braucht, um zu überleben. Die Döberitzer Heide ist inklusive dem alten Truppenübungsplatz nur 5.000 Hektar groß. Dennoch hat sich hier nun ein Wolfsrudel angesiedelt.
Peter Nitschke: „Findet das Rudel vor Ort genug Nahrung und ausreichend Ruhe vor, so kann es sich auch mit weniger Fläche zufrieden geben. Bei uns dürfen wir auch nicht vergessen, dass sich an die Döberitzer Heide landwirtschaftliche Nutzflächen anschließen, die bis an den Berliner Ring reichen.“
Wann wurde denn das Wolfsrudel in der Döberitzer Heide zuerst gesichtet?
Peter Nitschke: „Das war im September, also erst vor einigen Wochen. Ein von uns beauftragtes Unternehmen war in der Döberitzer Heide unterwegs, um einen Zaun zu kontrollieren. Da lief das Rudel direkt am Auto vorbei. Es bestand aus dem Elternpaar und aus vier Jungen. Wir vermuten, dass es sich um ein junges Rudel mit dem ersten Nachwuchs handelt. Durch Zufall war am gleichen Tag auch unser Fotograf Ingolf König-Jablonski vor Ort und hat die Wölfe direkt vor seine Kamera bekommen. Das war ein echter Glücksfall, denn die Wölfe sind sehr scheu. Im Normalfall wird man sie nie zu sehen bekommen. Manche Naturfilmer harren Wochen an einem Standort aus, bis sie einmal die Chance auf einen Schnappschuss erhalten.“
Woher die Wölfe stammen, darüber kann nur spekuliert werden. Rebecca Oechslein: „Die Wölfe breiten sich von Polen und der Lausitz gesehen weiter nach Brandenburg aus. Vereinzelte Tiere kommen auch aus dem Alpenland. Zurzeit werden genetische Proben aus Kot, Rissgut und totgefahrenen Wölfen ausgewertet, um eine Verbreitungskarte zu erarbeiten. Hier stehen die Forscher aber noch am Anfang.“
Peter Nitschke: „Ich spekuliere einmal, dass unsere Wölfe aus Kladow oder aus dem Königswald stammen.“
Hat es sich der Sielmann-Experte denn nicht zur Aufgabe gemacht, das Versteck der Wölfe in der Döberitzer Heide aufzuspüren? Peter Nitschke: „Natürlich habe ich das versucht. Ich habe in Wurzeltellern und alten Bunkern nachgesehen, aber nichts gefunden. Eine Wurfhöhle beziehen die Wölfe ja nur für kurze Zeit, wenn es einen neuen Wurf gibt. Ansonsten kann das Rudel heute hier und morgen da sein. Die Tiere gehen uns sehr geschickt aus dem Weg, sie wollen gar nicht aufgespürt werden. Wir haben aber Wildkameras bei uns in der Döberitzer Heide aufgestellt. An acht Stationen wurde der Wolf aufgenommen, wir haben jetzt gut 45 Aufnahmen – und wissen daher auch, dass das Rudel zurzeit auch weiterhin bei uns sein Revier bezogen hat.“
Die Stiftung hat die Pächter der Flächen, den Bundesforst, die Wolfsberater und natürlich die eigenen Mitarbeiter über den Wolf informiert. Aber was ist mit dem Spaziergänger in der Döberitzer Heide? Muss der nicht auch gewarnt werden?
Peter Nitschke: „Es gab bereits Meldungen, dass ein Wolf vor Spaziergängern den Weg gekreuzt hat. Ob das so stimmt, können wir nicht bestätigen. Fakt ist aber: Der Mensch fällt nicht in das Beuteschema der Wölfe. Die Wölfe sind auch eher in der Dämmerung aktiv, tagsüber ruhen sie meist. Eine Zufallsbegegnung ist extrem unwahrscheinlich, sie lässt sich aber auch nicht vollständig ausschließen. Wichtig ist es natürlich, Hunde an der kurzen Leine zu führen. Aber der Leinenzwang gilt ja überall im Wald und erst recht bei uns in der Döberitzer Heide. Die Leinenführung sollte also für die Hundehalter selbstverständlich sein.“
Die Frage ist: Wovon ernährt sich der Wolf in der Döberitzer Heide?
Rebecca Oechslein: „Der Wolf schafft es, kranke und alte Tiere zu erlegen. Seine Beutetiere, das sind Wildschweine, Rehe, auch mal ein Dammwildkalb. Oder eine Maus. An die Wisente und die Przewalski-Pferde wird er sich nicht heranwagen, dafür sind sie zu wehrhaft. Ganz ausgeschlossen ist das aber auch nicht.“
Peter Nitschke: „Unseren Schäfer haben wir informiert. Er muss wolfssichere Stromzäune stellen und über den Einsatz von Herdenschutzhunden nachdenken. In Brandenburg bekommen die Schäfer finanzielle Unterstützung bei der Sicherung der Gehege und auch einen Schadensersatz, falls doch einmal ein Tier gerissen wird. Es gibt ja immer wieder Meldungen in den Medien, dass der Wolf oft gleich mehrere Nutztiere tötet, wenn er dazu die Gelegenheit hat. Er ist eben ein Nahrungsopportunist. Er würde die Beute, die er nicht sofort fressen kann, für spätere Mahlzeiten verbuddeln.“
Muss man die wachsende Zahl der Wölfe in Brandenburg nicht besser künstlich begrenzen? Rebecca Oechslein: „Es gibt zwar bereits 50 Wolfsrudel in Brandenburg. Wir haben aber durchaus noch Platz für viele weitere. Wir dürfen auch nicht die Jäger gegen die Tierhalter ausspielen. Die Wolfsverordnung in Brandenburg regelt ganz klar den Umgang mit dem Wolf – auch für den Fall, dass sich einzelne Tiere wiederholt auf Nutztiere konzentrieren.“
Peter Nitschke: „In Deutschland gehört der Wolf schon immer zum Ökosystem mit dazu. Er hat gefehlt, nun ist er wieder da. Wir von der Heinz Sielmann Stiftung bewerten das nicht, wir registrieren es und beobachten die Veränderung, die diese Umgestaltung des Ökosystems nun mit sich bringt.“ (Text: CS / Fotos: CS, Ingolf König-Jablonski)
Dieser Artikel stammt aus „Unser Havelland“ Ausgabe 189 (12/2021).
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